0479 - Die Nacht der bösen Angela
Worten hüten.
Schlurfende Schritte näherten sich der Tür, und wenig später wurde sie aufgezogen.
Wir waren sicherheitshalber einen Schritt zurückgetreten. Ich leuchtete die Tür auch nicht direkt an, sondern vorbei, und wir sahen eine Frau, die ein großes Holzkreuz umklammerte.
Über den Querbalken hinweg blickte ich in ihr Gesicht. Eine graue Haut, verweinte Augen, die Lippen zitterten, und feine Speichelbläschen sprühten zwischen ihnen.
Sie trug einen eng gewickelten Schlafrock, auf dessen Kragen das aufgelöste Haar fiel. »Faßt das Kreuz an!« keuchte sie rauh. »Faßt es an, ihr beiden.«
Wir taten ihr den Gefallen.
Als sie sah, daß uns nichts geschah, stöhnte sie auf und kippte zur Seite. Die Spannung löste sich bei ihr, und sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.
Ich fing die bedauernswerte Frau auf und trug sie hoch in die Wohnung, wo ich sie auf die Couch des Wohnzimmers bettete.
Ich fand einen Cognac und reichte ihr ein Glas. Sie richtete sich auf, ich stützte sie ab und sah zu, wie sie trank. Bis zum Grund leerte sie das Glas.
Danach ließ sie sich wieder zurückfallen. Ihre starren Augen richteten sich gegen die Decke. Dann bewegten sich die Lippen. »Tot«, flüsterte sie. »Alle sind tot. Mein Gott, es war grauenhaft. Ich habe es erleben müssen. Sie war hier, hier in der Wohnung.« Sie drehte den Kopf so, daß sie uns ansehen konnte. »Haben Sie gehört? Diese Bestie hatte sich in unserem Haus versteckt.«
»Angela, nicht wahr?« fragte der Abbé.
»Ja, wir dachten, es wäre vorbei, aber das stimmte nicht. Mein Sohn schlief schon, auch Gérard und ich wollten zu Bett gehen, da tauchte sie auf. Sie hatte sich im Keller versteckt gehabt, und wir konnten uns kaum wehren. Nur ich holte mir das Kreuz. Davor hat sie Furcht, aber meine beiden Männer…«
Den Rest der Worte verstanden wir nicht, weil sie in einem Weinkrampf untergingen.
Wir ließen Madame Cingar Zeit. Sie preßte ein Taschentuch gegen die Augen, weinte weiter und schüttelte hin und wieder den Kopf. Wir gingen noch nicht. Diese Frau wußte bestimmt etwas, das für uns interessant war.
Nach Angela brauchten wir keine Ausschau zu halten. Sie hatte das Haus längst verlassen, aber ihr Erbe schwelte weiter.
Nach einer Weile hatte sich die Frau wieder gefangen. Sie tupfte die nassen Augen ab und sah uns abwechselnd an. »Was wollen Sie eigentlich hier?« fragte sie schluchzend.
Ich lächelte. »Vielleicht sind wir gekommen, um einen Vampir zu stellen.«
»Sie als Menschen?«
»Ja.« Mir schien es so, als hätte sie vergessen, daß wir ihre beiden Männer erlöst hatten. Das war auch nicht das Thema. Angela war wichtiger.
»Wo steckt die böse Angela?« fragte ich.
»Sie ist weg.«
»Warum?« fragte der Abbé.
»Sie… sie hat ja hier ihr Böses getan«, erwiderte Lisette Cingar stotternd und bewegte ihre Finger.
»Und… und mich hat sie ja nicht bekommen.«
»Zum Glück«, sagte ich.
Der Abbé hatte eine andere Frage.
»Wissen Sie denn, wo sie sich möglicherweise aufhalten könnte?«
»Nein.«
»Sie haben also nichts gehört? Konnte Angela sprechen? Hat sie geredet? Hat sie mit Ihnen gesprochen, Madame?«
»Ja, sie redete manchmal so komisch. Es hörte sich an, als würde sie fauchen. Ich hatte mich ja eingeschlossen. Sie erzählte mir, was sie mit meinen Männern gemacht hatte. Sie freute sich darüber und lachte nur. Das hatte auch einen Grund, wie sie sagte. Es ging ihr allein um ihn. Auf ihn hat sie gewartet, das sagte sie auch immer wieder, und ich konnte es hören, obwohl sie fauchte.«
»Wie hieß er?« fragte ich.
»Sie hat keinen Namen genannt. Sie sprach immer nur von ihm. Er war derjenige welcher. Auf ihn hat sie gewartet. Er würde alles ändern. Dann ist sie gegangen. Ja, sie hat das Haus verlassen, einfach so.«
»Ist sie in den Wald gegangen?«
»Das hat sie nicht gesagt.« Die Frau nahm ihr Taschentuch und preßte es wieder gegen die Augen.
Dabei zuckten ihre Lippen. Wir hörten, wie sie die Namen ihres Mannes und auch des Sohnes flüsterte. Der richtige Schock würde bestimmt noch später kommen und sie dann voll erwischen. Davon war ich überzeugt.
Ich dachte wieder an den Wasserfall und den Sumpf. Meiner Ansicht nach war dies ein magischer Ort, und ich sprach die Frau darauf an. »Kennen Sie den Wasserfall?«
Madame Cingar reagierte nicht sofort, und ich mußte meine Frage wiederholen.
»Den am Sumpf?«
»Ja.«
Sie nickte einige Male. »Ja, den kennen wir. Aber es
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