0479 - Die Nacht der bösen Angela
Dunst. Tropfen hingen auf der Scheibe. Die Wischer putzten sie weg.
Ich spürte eine innere Unruhe. Dem Abbé erging es nicht anders. Scharf blickte er mich an. »John, irgend etwas gefällt mir hier nicht. Da kannst du sagen, was du willst.«
»Und was?«
»Ich weiß es nicht. Du kennst das ja, wenn einen das große Flattern überfällt. Irgendwie habe ich den Eindruck, einfach zu spät zu kommen. Ja, ich bin zu spät dran.«
»Mal sehen.«
»Du willst mir nicht glauben, aber es ist so. Gib nur acht. Wir können böse Überraschungen erleben.«
Das wollte ich auf keinen Fall, aber die Ahnungen des Abbés bestätigten sich tatsächlich. Ich mußte plötzlich bremsen, weil mitten auf der Fahrbahn drei Wagen so schräg standen, daß sie die Straße versperrten. Die Fahrer waren ausgestiegen. Sie standen zusammen mit anderen Bewohnern und unterhielten sich.
Der Abbé öffnete die Tür nach mir. Ich ging zu der Gruppe hin, um zu fragen, was los war. Das brauchte ich nicht. Einer von ihnen, ein jüngerer Mann, sprach so laut, daß ich ihn durchaus auf der anderen Straßenseite verstehen konnte.
»Verdammt noch mal, so glaubt mir doch! Ich habe sie gesehen. Ja, das waren Reiter, und sie sahen aus wie Tote, die zum Leben erweckt worden sind.«
Der Abbé und ich blickten uns gegenseitig an. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, wußten wir, wen der Sprecher gemeint hatte.
Die Horror-Reiter!
***
Über ihr Kinn tropfte noch das frische Blut, das sie den beiden Menschen ausgesaugt hatte. Sie fühlte sich wunderbar, beschwingt, der kostbare Saft hatte ihr die nötige Kraft gegeben, die sie unbedingt für ihre weiteren Pläne brauchte.
Der Ort lag hinter ihr. Fast elfenhaft leicht nahm sie den langen Weg und tauchte in den düsteren Wald, der ebenfalls von Nebelschwaden durchzogen wurde. Der Dunst war dort dichter, wo der Sumpf begann. Er stieg aus der braungrünen Brühe, um seinen Weg lautlos und geisterhaft zu finden. Er war ein Verbündeter der Blutsaugerin. Die böse Angela hätte sich kein besseres Wetter vorstellen können.
Es war nicht dunkel. Aber der düstere Himmel und der Nebel taten ein übriges, um die Helligkeit des Tages zu verdrängen.
Sie mußte sich an manchen Stellen durch das Dickicht kämpfen. Kraftvoll bahnte sich die böse Angela ihren Weg. Das Blut hatte sie gestärkt, und sie leckte auch die letzten Tropfen von ihrem Kinn.
Ihr Ziel war der Wasserfall. Dort würde er erscheinen und nur für ihn war sie zurückgekehrt, um ihm ihr Leben zu widmen. Sie würde ihn behalten und großziehen. Seine Kraft sollte auch auf sie übergehen, dann waren sie unschlagbar.
Der Boden veränderte sich. Unter ihren Füßen war es weicher geworden. Sie sank bei jedem harten Schritt bis zu den Knöcheln ein, hatte manchmal Mühe, ein Bein wieder hervorzuziehen, und mußte zusehen, daß sie eine trockenere Strecke nahm.
Das schaffte sie auch und hatte das Glück, schon wenige Minuten später am Ziel zu sein.
Sie vernahm das Rauschen des Wasserfalls, sah die Fontäne noch nicht, doch sie brauchte nur den Geräuschen zu folgen und stand wenig später auf der sumpfigen Lichtung vor der Quelle und auf den Gräbern der Ahnen.
Es war ein unheimlicher Flecken Erde. Hier lauerte das Böse. Vor langer Zeit waren Mörder, Brandstifter und Räuber in den Sumpf geworfen worden, der diese Bande verschluckt hatte. An solchen Orten fühlte sich der Teufel immer wohl, er hatte hier auch ein markantes Zeichen gesetzt.
Nicht ohne Grund war der Felsen von ihm in den Boden gerammt worden, so daß er dastand wie eine Wand.
Aus ihr schoß das Wasser fontänenartig, beschrieb einen Halbbogen, landete klatschend in dem Auffangbecken und floß von dort als kleiner Bach in das Gelände.
Angela blieb stehen. Sie wollte lauschen und rufen. Es war soweit. Er mußte kommen und ihr übergeben werden. Das Schicksal hatte nicht umsonst seine Weichen gestellt.
Sie wartete.
Innerliche Unruhe stieg in ihr hoch und zwang sie dazu, einen Kreis zu gehen. Sofern es möglich war, umrundete sie die Quelle, schaute über die nebelschwangere Sumpffläche und dachte daran, daß heute der entscheidende Tag war, den das Schicksal schon in der Vergangenheit festgelegt hatte.
Er würde kommen!
Wieder blieb sie stehen und starrte auf den Wasserfall. Ihr Haar hatte sich mit der Feuchtigkeit des Nebels vollgesaugt und hing wie ein schwarzer Lappen bis auf ihre Schultern. Im Kleiderstoff klafften Risse. Auf dem Weg war sie durch dorniges Unterholz
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