0479 - Die Nacht der bösen Angela
Ranken wuchsen auf dem feuchten Untergrund. Sie vernahm ungewöhnliche Laute. Das Quaken dicker Frösche, manchmal ein Summen, wenn Insekten durch die Luft schwirrten, und sie hörte auch das Gluckern und Geräusche, als würden Blasen zerplatzen.
»Wo führt Ihr mich hin?« wagte Angela zu fragen.
»Die Gräber meiner Ahnen liegen im Sumpf. Nahe einer Quelle.«
»Aber der Sumpf tötet Menschen.«
»Ja, das kann er, wenn man ihn nicht genau kennt. Nur keine Sorge, Angela. Ich kenne mich aus, ich weiß genau, was ich zu tun habe. Du wirst es schon merken.«
»Ihr seid in allem so sicher. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Wenn man herrschen will, muß man Sicherheit ausstrahlen, meine Kleine.« Er blieb stehen, lächelte sie an und drückte sie dann nach rechts, wo sich ein schmaler Pfad durch dicht wachsendes Buschwerk zog und etwas anstieg.
Sie brauchten nicht mehr weit zu gehen, als Angela das sanfte Plätschern hörte und ihren Begleiter darauf aufmerksam machte. »Was hat das zu bedeuten?«
»Es ist die Quelle, von der ich dir berichtete.«
»Dann haben wir bald die Gräber der Ahnen erreicht?«
»Ja, sie liegen bei der Quelle. Man sagt ihr magische Kräfte nach.« Er lachte leise. »Glaubst du an Magie, kleine Angela?«
Wie ein kleines Kind schlug sie gegen ihren Mund. »Nein, an so etwas darf man nicht glauben. Es ist furchtbar, das wurde mir immer wieder gesagt. Magie…«
»Kann eine Wohltat für die Menschen sein, Angela. Ich weiß das. Ich bin mit berühmten Männern und mächtigen Magiern zusammengekommen und habe mit ihnen darüber gesprochen. Die Magie ist wie ein Feuer. Hat es dich einmal erfaßt, brennt es immer weiter, ohne daß du es löschen kannst. Du wirst damit leben können, denn es wird dir auch die Kraft geben, den Tod zu überwinden.«
»Gütiger Himmel, wie sprecht Ihr?«
Blochs Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Gib dir keine Mühe, es zu begreifen. Nimm das Gesagte einfach hin, und jetzt komm weiter, die Gräber meiner Ahnen warten.«
Angela schauderte, wagte jedoch keinen Widerspruch. Willig ließ sie sich von dem Mann führen, der ihr Gatte werden sollte. Bei einer Trauung in finsterer Nacht, unter freiem Himmel und an den Gräbern seiner Ahnen. Es kam ihr vor wie ein Traum. Wobei sie nicht einmal wußte, ob sie ihn als gut oder böse einstufen sollte.
Schon bald wurden sie nicht mehr von den hohen Bäumen begleitet. Nur lichtes Gras wuchs rechts und links des Pfads und manchmal einverkrüppelter Busch.
Angela blickte zum Himmel hinauf. Er wirkte so unendlich und zeigte eine dunkelgraue Farbe. Die Gestirne standen wie gemalt am Firmament, und der Mond leuchtete zwischen ihnen wie ein kreisrundes, blasses Auge, das alles beobachtete, Trauer erfaßte sie urplötzlich. Angela dachte daran, daß sie möglicherweise dieses Bild zum letztenmal in ihrem Leben sah. Sie wußte selbst nicht, wie sie zu dieser Annahme kam. Der Herzschlag raste, sie tastete nach der Hand ihres Begleiters und flüsterte: »Bitte, haltet mich fest. Haltet mich für immer fest!«
»Was ist?«
»Entschuldigt, mir war soeben…«
»Keine Sorge, wir sind schon da.«
Sie hatten eine kleine Anhöhe erreicht, und Romain Bloch streckte seinen Arm aus. Er schwenkte ihn nach links und wies auf eine schmale Felswand, die aus dem saftigen Boden in die Höhe wuchs.
Zahlreiche Risse zeigte sie, und dicht unter ihrem »Dach« ein Loch. Ein Wasserstrahl schoß aus der Felswand in ein kleines Becken. Es hatte einen Überlauf, durch den das Wasser in den Sumpf lief.
»Das ist die Quelle!« flüsterte Romain. In seiner Stimme schwang Ehrfurcht mit.
»Und wo sind die Gräber Eurer Ahnen?« erkundigte sich Angela.
»Du stehst auf ihnen.«
»Was?«
Er nickte lächelnd. »Sie liegen unter diesem Boden an der magischen Quelle. Ihre Seelen erfüllen den Sumpf, und sie sind bereit, dich zu empfangen, wenn wir den Bund für alle Zeiten geschlossen haben, meine Liebe. Man hat mich für diese Aufgabe ausgesucht. Ich werde sie auch durchführen, und ich bin mir meiner Verantwortung sehr wohl bewußt, die ich zu tragen habe.«
»Was soll ich tun?« fragte Angela. »Dreh dich zu mir hin und sieh mich an!«
Das tat sie ohne Widerspruch. Romain schaute sie so seltsam an, daß sie unter seinem Blick nicht nur erschauderte, sondern auch etwas spürte, das in ihrem Körper ein gewisses Begehren entfachte.
Romain Bloch streckte ihr die Hände entgegen und legte sie dorthin, wo zwei Spangen die beiden Mantelhälften
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