048 - Die Bande des Schreckens
Auspacken des Kunstwerks beschäftigt.
Mit einem leichten Lächeln bemerkte Nora:
»Miss Revelstoke wollte die Figur erst durch die Post zustellen lassen, aber ich glaube, sie fiel ihr etwas auf die Nerven, so daß sie sie auf die schnellste und einfachste Weise lossein wollte!«
Nach Entfernung des Packpapiers kam ein längliches, hölzernes Kistchen zum Vorschein. Monkford hob den Deckel mit einem Brieföffner hoch, schob die Hand unter die aufquellende Holzwolle und zog einen kleinen, in Stoff eingewickelten Gegenstand hervor. Als auch diese letzte Hülle fiel, rief er ehrfurchtsvoll aus:
»Wunderbar!«
Wunderbar war sie in der Tat - die nackte Figur einer Negerin, aus Ebenholz geschnitzt, ungefähr sechs Zoll hoch, in aufgerichteter Haltung, das Kinn erhoben. Die kleinen Hände hielten ein Schwert quer über den Leib, den ein Metallgürtel umspannte, an dem die leere Scheide hing. Das wollige Kopfhaar überzog ein dünnes, goldenes Netz.
Der Wetter hatte seinen Beobachtungsposten am Fenster verlassen und war langsam hinzugetreten.
»Herrlich! Die Arbeit - hervorragend!« stammelte Monkford bewundernd. »Aber ich sehe die Inschrift nicht.«
»Sie ist auf der unteren Fläche des Sockels«, sagte Nora, und Monkford drehte die Figur um.
Jetzt konnte man die Inschrift lesen, obgleich die Buchstaben beinah mikroskopisch klein waren.
»Lateinisch«, sagte Monkford überflüssigerweise. »Können Sie sie lesen, Long?«
Zu Noras Erstaunen beugte sich der Detektiv über die Inschrift, seine Lippen bewegten sich, und dann übersetzte er laut: »Ich bin der Tod, der am Ende aller Wege steht. Männer sehen mich an und stürzen sich in ihr Schwert. Nimm dich in acht, o Fremder, wenn du mir nicht widerstehst, fällst du durch eigene Hand.«
Monkford kicherte.
»Großartig! Man könnte fast sagen - einzigartig! Eine gleiche Figur befindet sich im Cluny-Museum. Das Schwarze Schicksal! Man spricht ihr allerlei geheimnisvolle Kräfte zu; ich möchte schwören, daß sie echt ist. Drei solcher Bildsäulen gibt es in Europa und eine in Amerika. Sie können Ihrer Dame sagen, Miss Sanders, daß ich stolz und glücklich damit bin.«
»Das Schwarze Schicksal?« Long legte die Stirn in Falten. »Das Schwarze Schicksal - hm!«
Er schaute Nora an.
Da stellte sie, ohne ersichtlichen Zusammenhang, eine Frage, die heraus war, bevor ihr bewußt wurde, wie deplaziert sie war. Ein unwiderstehlicher Drang hatte sie ihr eingegeben.
»Wer war Shelton?«
Eine Totenstille entstand. Sie erschrak, ihr Herz schlug heftig, die Farbe wich aus ihrem Gesicht und kehrte wieder zurück. »Oh, es tut mir leid, ich weiß nicht, was mich veranlaßte, eine so dumme Frage zu stellen!«
Monkfords Gesicht war aschgrau geworden, seine Augen nahmen einen wilden, verletzten Ausdruck an. Das rote, fröhliche Gesicht verwandelte sich in die tragische Maske eines zerrütteten Mannes.
Wie stark auch die Wirkung der Frage auf Monkford gewesen war - Longs Reaktion unterschied sich erheblich davon. Seine Mundwinkel zuckten belustigt.
»Shelton war ein Fälscher, der einen Polizisten tötete«, sagte er einfach. »Kurz bevor ich ihn festnahm, erschoß er meinen Begleiter Lacey. Man hat ihn gehängt.« Er warf einen Blick auf den schweigsamen Hausherrn. Nora, die ihn beobachtete, bemerkte in diesem Blick eine Spur von Sorge. »Niemand glaubte, daß er einen Revolver ziehen würde. Wir suchten ihn wegen Urkundenfälschung und Betrugs. Er hat aus amerikanischen und englischen Banken mehr Geld herausgezogen, als je ein anderer zuvor, und wir konnten ihn lange nicht fassen.« Wieder sah er zu Monkford hinüber. »Mr. Monkford und ich haben seine Spur verfolgt und ihm eine Falle gestellt, in die er ging. Die Revolversache war eine Überraschung, damit hatten wir nicht gerechnet. Ich hätte vor ihm schießen müssen. Wenn er durch jemandes Zutun gehängt wurde, dann durch meines.«
Sie fühlte instinktiv, daß er eine oft wiederholte Geschichte erzählte, die Mr. Monkford entlasten sollte. Doch sie verstand nicht, warum es überhaupt einer Entschuldigung bedurfte. Selbst wenn der Bankier den gefürchteten Fälscher an den Galgen gebracht hatte, warum sollte man ihm daraus einen Vorwurf machen? Shelton hatte ja doch einen Polizisten ermordet.
Long schien ihre Bedenken zu erraten. »Selbstverständlich hat sich Mr. Monkford Sorgen gemacht. Er ist der Ansicht...«
»Oh, laßt uns das Thema wechseln! Da kommt der Tee, wir wollen über etwas anderes sprechen.«
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