048 - Die Bande des Schreckens
lächelnd.
»Ziemlich sicher. Ein Detektiv patrouilliert ums Haus herum, und einer sitzt die ganze Nacht unten in der Halle.«
»Trotzdem werden sie sie herausholen, wenn es ihnen wichtig genug ist.«
»Ich wette...«
»Sie würden verlieren.« Sie wollte noch etwas sagen, drehte sich aber um und öffnete die Tür. Erst auf der Schwelle blieb sie stehen. »Ich vermute übrigens sehr, daß die Bande des Schreckens Nora Sanders nötig braucht. Warum, werden Sie nicht erraten.«
»Weil sie pleite ist«, warf er gleichmütig hin und bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte.
»Pleite? Wer hat Ihnen das gesagt?« Sie war sichtlich verblüfft. »Jedenfalls - passen Sie gut auf Ihre Nora Sanders auf!«
Lange nachdem sie gegangen war, wanderte er noch im Zimmer auf und ab und blieb nur stehen, um seinem Diener zuzusehen, wie er den Qualm durch das offene Fenster zu jagen versuchte, denn der Rauch abgebrannten Magnesiums ist schwer zu vertreiben.
29
Später begab sich der Wetter in die Klinik, um mit der Oberschwester zu sprechen. Sie war eine kleine, einfach wirkende Person und glaubte nicht an die Möglichkeit einer Entführung.
»Selbstverständlich ist sie hier gut aufgehoben«, versicherte sie.
Als sie zusammen in die Halle hinaustraten, hörten sie vom oberen Stockwerk her lautes Stöhnen.
»Nichts Ernstes«, beruhigte ihn die Schwester. »Es ist eine Nervenkranke, eine junge Frau, die heute nachmittag eingeliefert worden ist. Ein hysterischer Anfall, und es wäre nicht weiter schlimm, wenn sie sich nur ruhiger verhielte.«
»Stört sie die anderen Patienten nicht?«
»Sie wird noch heute abend wegkommen. Ich habe ihrem Arzt schon gesagt, daß wir sie hier nicht behalten können.«
Er kehrte in seine Wohnung zurück. Noras wegen fühlte er sich etwas beruhigt, obschon er die Warnung Alice Cravels nicht ganz vergessen konnte.
Sein Diener war ausgegangen, doch hatte er einen Zettel mit der Mitteilung hinterlassen: ›Bitte, rufen Sie Wachtmeister Rouch an!‹
Long bekam die Verbindung gleich.
»Ich glaube, ich habe den Mittelsmann zwischen der Bande und den Jungens gefunden!« Rouch sprach von der Unterwelt immer nur als von den ›Jungens‹. »Kann ich sofort zu Ihnen kommen?« »Ja, kommen Sie!«
Eine Viertelstunde später kam Wachtmeister Rouch mit einem bleich aussehenden Mann, der sich als Spitzel betätigte und aus diesem verachteten Metier beachtliche finanzielle Vorteile zog. In der Unterwelt wurde er ›Der Chef‹ genannt - er war früher einmal Koch in einem bekannten Restaurant gewesen -und nahm insofern unter den Spitzeln eine besondere Stellung ein, als er es verstand, sich gerade bei der Klasse, die er verriet, einen gewissen Einfluß zu verschaffen.
»Erzählen Sie dem Inspektor, was Sie wissen, Chef!« forderte ihn Rouch auf.
Der Chef sah mit Unbehagen von einem zum ändern, befeuchtete seine trockenen Lippen und begann dann mit seiner heiseren Stimme:
»Ihr sucht den Professor? Ich habe ihn oft in Bermondsey und Deptford gesehen. Er kennt alle Kanonen - Kaiini, Jacobs und den Griechen-Paul.«
»Wie sieht er aus?«
»Nicht so groß wie Sie, aber etwas größer als ich, und mager. Immer schwarz gekleidet. Er trägt eine Krawatte wie die Künstler auf Bildern.«
»Wie alt ist er?«
»Ich weiß wirklich nicht - ziemlich alt. Er hat weiße Haare, darum nennt man ihn wohl Professor.«
Man hatte ihn nie an den bekannten Plätzen gesehen, wo die Leute sich treffen, um ihre Pläne zu besprechen oder die Beute abzusetzen. Der Spitzel kannte all diese Orte recht gut - ›Das blaue Kissen‹ in Blackfriars Road, darin die verwegensten Affären Englands ausgeheckt worden waren, den ›Fischteich‹ in Notting Hill, wo man die größten Diamanten an den Mann bringen konnte, und die kleine Kneipe in Whitechapel Road, in der die großen Seidendiebstähle organisiert und die Ware fast offen verkauft wurde.
»Er trifft seine Leute immer draußen im Freien. Einer seiner Lieblingsplätze ist die Kanalbrücke. In Deptford erzählt man, daß er ein großer Hehler aus dem Westend sei, aber ich habe noch nie gehört, daß er etwas von den Jungens gekauft hätte, und soviel ich weiß, hat er sie nur zu Oberfällen gebraucht.« »Sie kennen Raffy, den Autofahrer?« fragte der Inspektor. »Selbstverständlich. Der kommt von Deptford. Er hat eben sechs Monate für waghalsiges Fahren bekommen. Man erzählt, der Professor habe für irgendein Westend-Ding einen Hunderter springen lassen.«
»An
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