0482 - ... dann jagten wir ihn 30 Stunden
gespannt.« Noch einmal flackerte sein alter Widerstandsgeist auf.
»Ich wurde gestern Abend zufällig Zeuge, als ein Lieferwagen vor einem Lokal in der Chinatown hielt. Drei Männer stiegen aus. Sie gingen in das Lokal. Gleich darauf gab es eine Schießerei. Ich benutzte die Gelegenheit, um mich in dem Lieferwagen zu verstecken. Zwei Männer kamen nur zurück. Einer davon war Ernie. Gemeinsam fuhren wir los. Die beiden wussten nicht, dass ich mich im Laderaum des Wagens befand. Außer mir war noch eine Gasflasche darin. Sie kollerte durch den Wagen. Irgendwo unterwegs machte das die beiden Burschen aus dem Lokal nervös. Sie hielten den Wagen an, und Ernie wollte die Gasflasche wieder befestigen. Können Sie sich den Rest zusammenreimen?«
Müde nickte Scotty Rock vor sich hin. »Ist Ernie tot?«
Ich sagte ihm die Wahrheit.
Wie zur Bestätigung schrillte in diesem Moment das Telefon.
Ich nahm den Hörer ab. Es war unser Labor.
»Wir haben uns die Patronenhülse aus Daddys Place noch einmal genau angesehen«, berichtete mir unser Spezialist. »Die Fingerabdrücke sind zweifellos echte Schweißspuren. Ein Gummihandschuh kommt nicht in Betracht. Es steht aber auch fest, dass die Abdrücke schon sehr alt sind. Wir haben das an Korrosionsspuren festgestellt, die durch die Einwirkung des Hautschweißes auf der Messinghülse entstanden sind. Sie wissen sicher, dass Messing sehr empfindlich ist. Wenn es mit Fett in Berührung kommt und nicht geputzt wird, wird es schwarz. Etwa die gleiche Erscheinung haben wir hier festgestellt. Die Abdrücke müssen sehr lange auf das Metall eingewirkt haben.«
»Was verstehen Sie unter ›sehr lange‹?«, wollte ich noch ergänzend wissen.
Die Antwort war eindeutig. »Nach meinem Befund mindestens neun Monate, wahrscheinlich aber schon mehr als ein Jahr.«
Ich dankte und legte wieder auf.
»So, Rock«, wandte ich mich wieder an den ängstlich dasitzenden Gangster, »jetzt kann ich eine schöne Legende zerstören, auf die Sie vermutlich auch hereingefallen sind. Ernie - das ist nach Ihrer Ansicht Ernie Madrida. Stimmt das?«
Unsicher schaute er mich an. Dann nickte er schüchtern.
»Dann wissen Sie sicher auch, was mit Madrida im Herbst 1965 in Chicago passiert ist?«
»Jeder weiß das«, sagte er, und in seinen Augen flackerte es. »Das ist es ja gerade. Angeblich wurde er hingerichtet, und trotzdem läuft er noch frei herum. Er ist aus der Todeszelle entkommen, und niemand hat ihn halten können.«
»Es gibt keine Wunder, Rock. Haben Sie schon jemals etwas von einem Ernie Venez gehört?«
Er überlegte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.«
Ich nickte Neville zu. »Erzähle du ihm das, damit er weiß, dass ich ihm jetzt nicht ein Märchen erzähle. Er soll sehen, dass es keine Verbrecher mit übernatürlichen Begabungen gibt.«
Neville erzählte die Geschichte von den angeblichen Zwillingen und von den beiden verschiedenen Narben. Er machte es schnell und sachlich.
Doch Scotty Rock glaubte ihm nicht. Ich konnte es verstehen. Lange genug hatte er zu den Leuten gehört, die sich immer wieder gegen Recht und Gesetz stellten und glaubten, die Polizei überlisten zu können.
»Ihr könnt mir viel erzählen«, maulte er.
»Wenn Sie Wert darauf legen, Rock, zeige ich ihnen gerne die Originalunterlagen über die beiden Ernies. Sie werden an den verschiedenen Papieren sehen, dass das keine bestellte Arbeit ist, um Sie in die Irre zu führen. Wie gesagt, wenn Sie Wert darauf legefi«, bot ich ihm an.
Doch er schüttete den Kopf. »Was soll es? Wenn Sie mir sagen, dass Sie derartiges Zeug haben, wird es schon stimmen. Ich kann es doch nicht nachprüfen. Das Einzige, was ich bestimmt weiß, ist, dass ich Ernie Madrida persönlich kenne. Es ist knapp zwölf Stunden her, dass ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe. Und ihr wollt mir erzählen, dass er hingerichtet worden sei.«
»Es ist so, Rock. Der Mann, den Sie als Ernie Madrida kennen, ist in Wirklichkeit sein so genannter ›Zwillingsbruder‹. Es ist Ernie Venez. Er nennt sich nur Ernie Madrida, um mit Hilfe seiner Ähnlichkeit mit dem wirklichen Madrida leichtgläubigen kleinen Gangstern Märchen erzählen zu können. Und ihr zittert alle vor ihm. Aber wir sind auch fast auf ihn hereingefallen. Das Einzige, was heute von Ernie Madrida noch existiert, sind vermutlich einige Schachteln voller Patronen, die er lange vor seinem Tod einmal sortiert hat.«
»Das war also die Legende von Ernie
Weitere Kostenlose Bücher