0483 - Das Girl, das zuviel wußte
Fahrstuhltür leuchtete die Drei.
Langsam ging Ruth über den Gang zu ihrer Wohnungstür. Ihre Schritte klapperten über den harten Bodenbelag. Das Geräusch klang wie lautes Trommeln in ihren Ohren.
Sie schob den Schlüssel in das Schlüsselloch und wartete.
Alles war ruhig.
Sie war allein. Aber rundherum schliefen Menschen in ihren Wohnungen, die beim ersten Schrei aufwachen würden, um ihr zu Hilfe zu Kommen. Es war verrückt, sich in einem solchen Haus zu fürchten!
Aber es half nichts. Die Angst blieb und stieg langsam höher, bis Ruth glaubte ersticken zu müssen. Sie schloß die Tür auf und stieß sie mit einem Schwung auf.
Sie schwang mit leisem Quietschen nach ,innen und schlug leicht gegen den Stuhl im Flur.
Ruth schob sich halb durch die Tür und griff nach dem Lichtschalter. Sie atmete auf, als das Licht sofort und hell aufleuchtete und ihre Wohnung aus der Dunkelheit riß. Ruth schloß die Tür hinter sich und ging langsam in das große Zimmer hinein.
Es war leer. Niemand war da. Alles war nur Einbildung gewesen. Hastig durchsuchte sie auch die anderen Räume. Sie machte sogar die Türen des breiten Kleiderschrankes auf und bückte sich, um unter das Bett zu schauen.
Dann lachte sie erleichtert auf und warf ihren Mantel über einen Stuhl. Sie ging in die Küche hinüber, nahm eine Flasche Martini aus dem Kühlschrank und goß sich ein Glas voll ein. Dann ließ sie sich in einen Sessel sinken und nahm einen tiefen Schluck.
Sie entspannte sich, steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich bequem zurück.
Da sah sie den Fleck.
Es war ein kleiner Fleck, einfaches Wasser, direkt neben der kleinen Blumenvase auf dem Couchtisch. Es war nicht einmal ein Fleck, lediglich eine feuchte Stelle auf der roten Leinendecke.
Ruth stellte ihr Glas ab. Ihre Hand war steif und gefühllos, als sie die Vase hochnahm. Direkt unter dem Boden war das Tuch noch feuchter. Aber die Vase war voll. Nichts davon konnte verschüttet sein. Die Vase enthielt sogar mehr Wasser, als Ruth normalerweise hineinfüllte, die Blumen waren auch feucht, nicht nur an den Stengeln, sondern auch an den Blütenblättern.
Ruth stellte die Vase wieder hin. Gedankenlos genau auf den Fleck, auf dem sie gestanden hatte.
Ihr Kopf war leer.
Sie war nicht fähig, irgendeinen Gedanken zu fassen. Irgendeinen Schluß aus dem feuchten Fleck zu ziehen.
Und dann begannen ihre Gedanken wieder langsam zu arbeiten. Ruth zwang sich nachzudenken. Wann konnte das Wasser übergeschwappt sein? Der Couchtisch stand nicht sehr fest. War sie dagegen gestoßen, als sie sich in den Sessel setzte?
Aber je mehr sie versuchte, eine harmlose Erklärung für das Wasser zu finden, desto stärker wurde wieder die Angst.
Es gab nur eine Erklärung:
Jemand hatte die Vase umgestoßen und sie wieder aufgefüllt, damit sie nichts merkte. Er hatte den Boden aufgemischt und die Vase wieder so hingestellt, daß sie den Fleck fast verdeckte.
Irgend jemand war in ihrer Wohnung gewesen. Ruth sprang auf. Die Erstarrung wich plötzlich von ihr. Sie mußte fort! Irgend jemand konnte ohne weiteres in ihre Wohnung eindringen. Irgend jemand, der einen Dietrich hatte oder womöglich einen anderen Schlüssel!
Der Mann, den sie gestern gesehen hatte. Der Mörder.
Ruth rannte durch die Zimmer. Sie riß eine kleine Reisetasche vom Schrank und warf wahllos einige Kleidungsstücke hinein. Sie hastete ins Badezimmer, nahm ihre Waschsachen und lief noch einmal ins Schlafzimmer zurück.
Dann fuhr sie herum.
Sie hatte ein Geräusch gehört. Fast unmerklich, ein leises Knirschen draußen auf dem Gang vor der Wohnung.
Jemand kam auf ihre Tür zu.
Ruth blieb regungslos stehen. Ihre Hände umklammerten die runden Ledergriffe der Reisetasche, ihre Augen waren gebannt auf die Flurtür gerichtet.
Die Schritte waren verstummt.
Sie hatten direkt vor der Tür haltgemacht.
Das schrille Klingeln ihrer Wohnungsglocke kam so plötzlich, daß Ruth entsetzt die Tasche fallen ließ. Sie polterte auf den Boden, kippte auf die Seite und blieb liegen.
Dann war es wieder still.
Bis die Klingel zum zweitenmal aufschrillte.
Gleichzeitig klopfte jemand an die Tür. Nicht laut und fordernd, sondern leise und zögernd.
»Ruth, mach doch auf!« flüsterte eine Stimme.
Sie machte ein paar Schritte auf die Tür zu. Sie mußte zweimal ansetzen, bevor sie ein Wort hervorbrachte, dann fragte sie:
»Wer ist denn da?«
»Ich, Steward! Du schläfst doch noch nicht? Ich sah das Licht in deinem
Weitere Kostenlose Bücher