0483 - Der Yeti ist da!
Wintersportler hätte ich mich hier wohl fühlen können, aber ich war nicht hergekommen, um Urlaub zu machen. Wir saßen in dem Range Rover, mit dem Dexter auch den Yeti aus dem Weg geschaufelt hatte. Dem Wagen hatte das nichts ausgemacht. Er rollte sicher den Weg bergauf seinem Ziel entgegen.
Die dunklen Brillen schützten unsere Augen gegen das vom Himmel fallende Sonnenlicht. Wir begegneten nicht einem Skifahrer. Dieser Weg wurde in den letzten Tagen gemieden. Keiner wollte in Gefahr laufen, dem Monstrum zu begegnen.
Schweigender Wald umgab uns. Ich empfand sogar das Motorengeräusch als störend.
Wenn wir an den breiten Schneisen vorbeifuhren, bekamen wir einen fantastischen Blick über die stille Bergwelt. Sie war in eine weiße Decke gehüllt, und auf den Felsen glänzte eine dicke Eisschicht. Vögel zogen ihre Kreise durch die klare Luft.
Wir rollten auf einem Höhenweg dahin und erreichten dann die Stelle, wo Dexter Haley die Tote gefunden hatte.
Wir stiegen aus.
»Hier ist es gewesen.« Haley hatte sein Gewehr mitgenommen. Er deutete mit dem Gewehrlauf dorthin, wo am Rand der dunkle Nadelwald begann. Der Schnee war zum Teil schon getaut. Von den Zweigen fielen die glasklaren Wassertropfen in die Tiefe.
Ich suchte zwischen den Bäumen nach. Ja, es waren genügend Spuren vorhanden. Der Yeti mußte eine unwahrscheinliche Kraft besitzen. Bei seiner Flucht hatte er sich durch den Wald geschlagen und alles aus dem Weg geräumt, was ihn behindert hatte. Ich entdeckte angeknickte Bäume und tiefe Spuren im Schnee. Sie zogen wie Bahnen durch die auf dem Boden liegende weiße Pracht.
Haley und Mertens waren mir gefolgt. Mertens rückte mit einem Vorschlag heraus. »Wie wäre es, wenn wir den Spuren folgen? Vielleicht führen sie uns zu seinem Versteck.«
»Das kann sein.«
»Und dann?« fragte Haley. »Stellen Sie sich mal vor, Sie treffen ihn tatsächlich. Sie sind nicht bewaffnet.«
Mertens winkte ab. »Das lassen Sie mal unsere Sorge sein, mein Lieber. Wir wissen schon, auf was wir uns da einlassen.«
»Ich wollte Sie auch nur darauf hingewiesen haben.«
Mertens wandte sich an mich. »Was halten Sie davon, John?«
»Meinetwegen können wir den Spuren folgen.«
Das war leichter gesagt, als getan. Nicht nur die eng beisammenstehenden Bäume bereiteten uns Schwierigkeiten, vor allen Dingen war es der Schnee, der so hoch lag und dabei wie Leim wirkte, als wollte er uns bei jedem Schritt hindern. Manchmal sanken wir fast bis zu den Knien ein. Meine Kleidung, zwar winterfest, näßte allmählich durch.
Liefen die Spuren so weiter wie jetzt, würden wir irgendwann ins Tal gelängen. Konnte es sein, daß sich der Yeti dort verkrochen hatte? Ich hatte die Führung übernommen, Haley machte den Schluß und blieb ebenso plötzlich stehen wie Mertens und ich, als wir das unheimliche Brüllen hörten, das über die Wipfel der Bäume hinwegschallte.
Wir schauten uns an.
Sogar Mertens bekam eine Gänsehaut, als er den Laut vernahm und schüttelte den Kopf. »Verdammt, das muß er sein.«
»Das ist er auch«, wisperte Dexter. »Ich habe ihn ja schon einmal gehört. Sein Schreien kenne ich.«
Hatte er uns gesehen und machte sich möglicherweise über unsere Bemühungen lustig? Rechnen mußten wir mit allem, lauschten dem Echo und versuchten herauszubekommen, aus welch einer Richtung das Brüllen zu uns drang.
»Das kann aus dem Tal kommen«, vermutete Karl Mertens.
»Muß aber nicht«, erklärte Haley, der Fachmann. »In den Bergen ist alles anders.«
Das war vorstellbar. So plötzlich, wie das Brüllen aufgeklungen war, verstummte es auch wieder.
Sekunden vergingen. Auch wir verhielten uns still.
»Und jetzt?« fragte der Öko-Sheriff. »Hatte das Schreien eine Warnung sein sollen?«
»Keine Ahnung«, gab ich zu und wollte weiterreden, als wir das Lachen vernahmen.
Diesmal hatte es kein Tier ausgestoßen. Wer da so schrill und höhnisch lachte, war ein Mensch.
Mertens trat dicht an mich heran und faßte nach meinem Arm. »Wissen Sie, wer da lacht, Sinclair?«
»Ich kann es mir denken.«
»Das ist Jasper Moore«, antwortete er. »Ich kenne die Stimme oder die Lache. Sie hat am Telefon zwar nicht so laut geklungen, aber der Unterton ist deutlich herauszuhören.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich nur wüßte, was er damit bezwecken will?«
»Rache, John. Ganz billige Rache.«
»So billig ist sie auch nicht. Der Yeti ist von ihm nicht umsonst großgezogen worden.«
»Möglich.«
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