0484 - Stygias Todespendel
der Totenstarre nur träumte, daß er in Wirklichkeit immer noch auf dem Obduktionstisch lag und viviseziert werden sollte.
Aber er spürte die Kühle des Raumes auf seiner bloßen Haut, er fühlte den festen Boden unter seinen Fußsohlen. Er sah, wie der eine der beiden dunkelhäutigen Mediziner nach den rasiermesserscharfen Klingen griff. Ted wollte ihn anbrüllen, aber mit der Stimme klappte es immer noch nicht. Deshalb sprang er den Mann an, riß ihn von den Instrumenten weg. Ted hatte nie geahnt, über welche unglaubliche Kraft er im Extremfall verfügte. Der Arzt wurde gegen das Fenster geschleudert! Glas splitterte hinter seinem Rücken! Der Mann breitete zwar noch die Arme aus, um sich rechts und links am Fensterrahmen festhalten zu können, aber Ted hatte ihm zu viel Schwung verpaßt. Der Schwarze brach durch das Fenster nach draußen und stürzte…
Ted war direkt hinter ihm! Er bekam den Mann an den Waden zu fassen und hielt ihn fest. Noch im Rahmen steckende Glasscherben schnitten seine Haut auf und drangen auch durch die Hosenbeine des Mediziners, der jetzt draußen an der Hauswand hing, mit dem Kopf nach unten. Ted umklammerte die Beine des Mannes, versuchte ihn festzuhalten. Aber er erkannte, daß er es nicht schaffen würde, den Arzt wieder nach oben zu ziehen. So unglaublich die Kraft war, die er vorhin in seiner eigenen Todesnot entfesselt hatte, so schnell war sie auch verbraucht, und er fühlte sich erschöpft. Er brauchte die Hilfe einer zweiten kräftigen Person, um den Mediziner vor dem tödlichen Sturz in die Tiefe zu bewahren!
»Verdammt, helfen Sie mir!« krächzte Ted und begriff erst, daß auch seine Stimme jetzt endlich wieder funktionierte, als er das ratlose Stammeln jenes Mannes vernahm, den er vorhin gegen den Schrank geschleudert hatte und der jetzt taumelnd hinter ihm auftauchte.
»Packen Sie zu, verdammt, oder wollen Sie, daß mir der Mann hier aus den Fingern rutscht?« brüllte Ted.
Der andere war immer noch fassungslos. Schließlich passiert es nicht jeden Tag, daß jemand, den man schon tot wähnt und der auf dem Seziertisch liegt, plötzlich wieder zum Leben erwacht!
»Helfen Sie mir!« brüllte Ted erneut. »Oder wollen Sie an Ihrem Kollegen zum Mörder werden?«
Die Beine des Mediziners glitten ihm langsam, aber sicher zwischen den Fingern weg, und der kopfüber draußen hängende Mann brachte es in seiner Panik auch nicht fertig, den Rumpf zu beugen und den Oberkörper so hoch zu zwingen, daß er die Arme nach oben strecken und mit den Händen selbst wieder Halt finden konnte! Statt dessen machte er draußen in seiner Panik ruckartige Bewegungen, die Teds Griff zwangsläufig weiter lockerten!
Jeden Moment konnte er in die Tiefe stürzen!
Irgendwer rüttelte an der abgeschlossenen Tür. »Was ist da los?« Man hatte das Gebrüll vernommen, kam aber nicht herein, und aus den Augenwinkeln sah Ted, als er den Kopf leicht drehte, wie der verdammte Narr hinter ihm nach einem Skalpell griff und es ihm in den Rücken stoßen wollte, um den vermeintlich Toten, der auf unheimliche Weise wieder aufgestanden war, in den Hades zurückzuschicken!
»Nicht, Sie Narr!« brüllte Ted verzweifelt.
Er mußte dem Stoß ausweichen, drehte sich und hielt plötzlich nur noch ein Bein fest. Das andere hatte sich ihm aus der Hand gedreht. Er schlug mit der Faust nach dem Skalpellartisten, trieb ihn zurück, schrie eine verzweifelte Verwünschung und packte mit der freien Hand wieder zu, griff nach und hielt den Abstürzenden jetzt mit zwei Händen an einem Bein. Der strampelte mit dem anderen wie wild und brachte es fertig, Ted so an den Unterarm zu treten, daß der vor Schmerz aufschrie, loslassen mußte und erst im letzten Moment mit einer Hand noch einmal das Fußgelenk des anderen zu fassen bekam.
Der Kollege des Abstürzenden kam wieder heran, seine Augen waren weit aufgerissen. Erneut wollte er dem vermeintlichen Zombie den Garaus machen und begriff überhaupt nicht, daß er damit gleich zwei Lebende auf einen Streich töten würde. Diesmal wollte er das Messer von der Seite herankommen lassen.
Da flog die Tür auf!
Zwei Männer hatten sich dagegengeworfen, weil ihnen das Gebrüll aus dem Sezierraum verdächtig vorkam, und jetzt sahen sie die Szene am Fenster. Einer riß den Messermann zur Seite, der andere unterstützte Ted Ewigk, packte zu und zog mit der einen Hand, während er mit der anderen Glasscherben aus dem Rahmen knickte, damit die den draußen hängenden Mann beim
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