0486 - Die Voodoo-Hexe
wenn man einmal davon absieht, daß sie erstens unverheiratet ist, zweitens trotzdem hin und wieder Männerbekanntschaften mit heim bringt, und drittens ein Reihenhaus besitzt, das relativ teuer war und das sie höchstens durch eine Erbschaft erworben haben kann. Welcher Erwerbstätigkeit sie nachgeht, weiß niemand, aber sie scheint nicht gerade reich zu sein - sie besitzt weder Auto noch Fahrrad und kauft vorwiegend im Supermarkt ein - und dort die preiswertesten Artikel.«
Zamorra grinste. »Eine gute und sparsame Hausfrau«, stellte er fest. »Ich werde sie heiraten.«
»Ich kratze dir die Augen aus und amputiere dein linkes Bein bis zum Hals«, drohte Nicole. »Colon ist also eine harmlose, unauffällige Allerweltsgestalt. Aber jetzt wird es interessant, Chef: Das Einwohnermeldeamt kennt keine Desiree Colon.«
»Moment mal«, sagte Zamorra hastig und verschüttete fast den Inhalt seiner Kaffeetasse. »Sagtest du nicht gerade, ihr gehöre diese Reihenhauseinheit? Wie kann sie das gute Stück erworben haben und bewohnen, wenn sie nicht gemeldet ist? Ist es vielleicht ein Zweitwohnsitz, und sie hat nur vergessen, ihn anzumelden?«
»Ich sagte: Das Einwohnermeldeamt kennt keine Desiree Colon. Vielleicht hat sie das Haus unter einem anderen Namen gekauft, oder jemand hat es ihr geschenkt. Die Nachbarn gehen nur davon aus, daß sie die Eigentümerin ist, weil es einmal vor Jahren einem Rentner gehört hat, der es verkaufte, um sich mit dem Geld in einem Altersheim einzumieten und sich dort totpflegen zu lassen. Seitdem wohnt Mademoiselle Colon hier, und in Gesprächen hat sie wohl immer ›ihr Haus‹ gesagt und nicht ›ihre Mietwohnung‹. Aber selbst wenn sie nur zur Miete wohnte, müßte sie dem Einwohnermeldeamt bekannt sein.«
Zamorra nickte.
»Das bedeutet, daß ich immer noch auf der richtigen Spur bin«, fuhr Nicole fort. »Mit dieser Frau stimmt etwas nicht. Selbst wenn sie nicht schwarzmagisch begabt sein sollte, selbst wenn sie Voodoo tatsächlich nur als ihre Religion betrachtet und nicht als Machtinstrument benutzt, stimmt mit ihr etwas nicht. Leider konnten mir die geschwätzigen Nachbarn nichts über geheimnisvolle nächtliche Rituale und spurlos verschwundene Mitmenschen erzählen. Auch nichts über nächtliche Geschehnisse auf dem Friedhof.«
Zamorra winkte ab. Nach solchem Mumpitz hatte er ja ohnehin nicht gefragt.
»Was schlägst du nun vor, Klatschreporterin?« fragte er.
»Daß wir ein wenig Zeit opfern. Colon sagte doch, daß sie ab heute mittag ziemlich im Streß sein werde. Was hältst du davon, wenn wir nach St. Etienne fahren und auf ihren Pfaden wandeln? Mit dem Amulett müßtest du sie doch aufspüren können.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Bei Gelegenheit kannst du mir einmal verraten, was du damit eigentlich erreichen willst. Gut, ich traue ihr auch nicht so recht über den Weg. Aber zumindest deine gestrigen Verdachtsmomente kann ich längst nicht mehr teilen, und die heutigen hast du noch nicht klar genug definiert.«
»Ich werde sie klarer definieren, wenn wir mehr wissen«, sagte Nicole.
Zamorra schüttelte den Kopf. »Nimm das Amulett, fahr hin und wandele auf ihren Pfaden. Du kannst den Blick in die Zeit genauso tun wie ich, um festzustellen, wann sie das Haus verließ und wohin sie sich dann wandte. Vielleicht findest du ja etwas heraus. Ich werde derweil die Zeit nutzen und mich ein wenig mit unserem Archiv befassen. Ich will mein Wissen über Voodoo auf den neusten Stand bringen und vertiefen, um festzustellen, ob sie uns bei dem Gespräch nicht ein paar Bären aufgebunden hat, und wie tief sie wirklich in diesem Kult steckt. Vielleicht ist sie eine Priesterin und will das nur nicht zugeben.«
»Dafür ist sie ein bißchen jung, findest du nicht auch?« fragte Nicole.
Zamorra zuckte mit den Schulter. Er wollte nicht weiter über dieses Thema reden. Fast ärgerte es ihn, daß er gestern zur falschen Zeit Nicoles Fernsehzimmer betreten hatte. Wäre er vor Beginn der Sendung gekommen, hätte sie den Apparat vielleicht gar nicht eingeschaltet, und sie beide hätten jetzt immer noch ihre ahnungslose Ruhe.
Aber irgendwie ging ja immer im unpassendsten Moment irgend etwas schief.
***
Desiree räumte erst am sehr späten Vormittag auf. Schließlich hatte auch sie sich erst einmal gründlich ausschlafen müssen. Im nachhinein wunderte sie sich, daß der Parapsychologe und seine Sekretärin durchgehend bis zum Schluß so fit gewesen waren. Sie mußten wohl
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