049 - Der Android
sie die Bücher, die darauf lagen - eine mehrbändige Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs, die sicherlich ihr Vater gelesen hatte - zu Boden. Dann drehte sie den Tisch um, nahm eines der Beine in die künstliche Hand und drückte zu.
Sie hätte beinahe laut gelacht, als es sich unter dem Druck verbog, als wäre es aus Aluminium. Zum Spaß machte sie einen Knoten hinein und drehte den Tisch wieder um. Er wackelte leicht. Lynne legte die Hand auf die Tischplatte, holte aus und schlug mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, zu. Haltlos taumelte sie nach vorn, als ihre Faust durch den Tisch schlug und eine Betonplatte im Boden sprengte.
»Wow«, flüsterte sie.
»Sie werden sich bald daran gewöhnen«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Lynne drehte sich erschrocken um. Der Tisch hing um ihr Handgelenk wie ein riesiges groteskes Armband, das sie nicht abschütteln konnte.
»Wenn Sie erlauben…« Die Gestalt im Türrahmen trat einen Schritt vor und zog den Tisch über ihre Hand. Lynne betrachtete den Maschinenkörper, blickte in die Objektive, die auf sie gerichtet waren und fragte sich, weshalb sie keine Furcht empfand.
»Mein Name ist Miki Takeo. Ihr Vater hat Sie zu mir gebracht. Ich habe Sie operiert.«
»Dad hatte immer schon sehr… unkonventionelle Ideen«, sagte sie und streckte ihm ihren künstlichen Arm entgegen. »Ich bin Lynne Crow.«
Er schüttelte ihre Hand. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das sie zu ihrer eigenen Verwirrung erregte.
»In den nächsten Tagen werden wir die Plysteroxteile mit Kunsthaut überziehen. Danach werden sie sich äußerlich nicht mehr vom Rest Ihres Körpers unterscheiden. Nur Ihre Stärke müssen Sie noch einschätzen lernen.«
Erst jetzt zog Takeo seine Hand zurück. Lynne strich sich durch die Haare und lächelte.
»Ich lerne schnell. Aber was ist mit Ihnen? Schleichen Sie immer nachts durch die Krankenzimmer und sehen nach Ihren Patientinnen?«
O nein, dachte ein Teil von ihr. Ich flirte mit diesem Monster! Ein anderer fragte sich, wie stark dieser Körper sein mochte und was sie empfinden würde, wenn…
Takeos Kameras hielten ihren Blick.
»Normalerweise überlasse ich das meinen Mitarbeitern«, sagte er. »Heute habe ich jedoch meinen Sohn operiert und ich wollte sehen, ob die Implantate sich richtig mit der Biomasse verbinden. Das ist der schwierigste Teil.«
»Oh… dann ist Ihr Sohn also auch…«
»Ein Cyborg? Ja, genau wie Sie.« Cyborg. Lynne ließ das Wort durch ihre Gedanken kreisen, versuchte sich selbst darin zu erkennen und scheiterte.
»Wissen Sie, wo mein Vater ist?«, fragte sie, um überhaupt etwas zu sagen.
»Nein, aber ich kann ihn suchen lassen, wenn Sie möchten.«
Takeo drehte sich um, aber Lynne griff einem Instinkt folgend nach seinem Arm. »Das ist nicht nötig. Ich würde mich freuen, wenn Sie… wenn du noch etwas bleiben könntest…«, Takeo nickte und schloss die Tür.
***
»Ich verstehe das nicht«, sagte Matt und tastete vorsichtig nach der Beule an seinem Hinterkopf. »Wieso rettet mir jemand das Leben und schlägt mich dann nieder? Ist das nicht irgendwie kontraproduktiv?«
Er war erst vor kurzem aufgewacht und versuchte seitdem, die Ereignisse der letzten Nacht zusammenzusetzen.
Der Unbekannte hatte das geworfene Skalpell abgeblockt, das wusste er noch. Der Rest seiner Erinnerung beschränkte sich auf Momentaufnahmen: Ein Wald, durch den er desorientiert lief; Aruula, die unvermittelt vor ihm stand; das Haus - und dann nichts mehr, bis er an diesem Morgen die Augen aufgeschlagen hatte.
Aruula schüttete etwas Tee in zwei Tassen. »Vielleicht wollte er nicht von dir gesehen werden.«
»Ein einfacher Satz wie ›Dreh dich bitte nicht um‹ hätte genügt.« Matt nahm eine der Tassen dankend entgegen. Er hatte den Eindruck, etwas Wichtiges vergessen zu haben, aber wie sehr er sich auch darauf konzentrierte, es wollte ihm nicht einfallen. »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«, fragte er stattdessen.
Aruula nahm ihre Tasse und kroch neben ihm unter die Bettdecke. »Du hast mich gefunden, Maddrax«, sagte sie dann.
»Ich bin dir auf dem Weg begegnet, nachdem ich Kiri gefolgt war.«
Er sah sie überrascht an. »Wieso bist du Kiri gefolgt?«
»Weil sie sich merkwürdig verhalten hat. Sie gab vor, das Zittern zu haben, das man manchmal nach einem Kampf bekommt, aber sie ist eine schlechte Lügnerin. Also bin ich ihr gefolgt, um zu sehen, ob sie wirklich zu Takeo geht, wie ich es ihr gesagt hatte.«
Aruula
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