0491 - Der Blutjäger
meine Ansicht.«
»Natürlich.« Wir stiegen ein und fuhren los. Keiner sprach in den folgenden Minuten. Erst auf der Hauptstraße dirigierte Eva mich zu dem Geschäft.
Ich stieg aus, sie blieb sitzen. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, daß sie die Hände gefaltet hatte und betete.
Das hätte ich ihr nicht zugetraut…
***
Der Himmel verdüsterte sich immer mehr. So als wollte er uns beweisen, welch ein Grauen sich in der Nähe aufhielt und bald auf uns zukommen würde.
Ich hatte die Ausrüstung im Kofferraum verstaut und war einiges an Geld losgeworden. Als ich wieder in den Wagen stieg, schaute mich Eva mit bangem Blick an.
»Traurig?« fragte ich.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Es ist irgendwie ein anderes Gefühl. Auch nicht gerade Angst, ein Druck, verstehen Sie? Ich habe irgendwie Beklemmungen davor, zu meinen Eltern zu fahren. Der Tod meiner Schwester ist mir nicht aus dem Sinn gegangen. Weshalb hat der Blutjäger sich ausgerechnet sie ausgesucht?«
»Zufall.«
»Wirklich?«
»Wir werden es feststellen, Eva. Erklären Sie mir jetzt den Weg, sonst suche ich noch in der Nacht.«
Sie fuhr fahrig durch ihre Haarflut. »Natürlich. Entschuldigen Sie. Fahren Sie an der nächsten Kreuzung rechts.«
Wir gerieten in den älteren Teil des Dorfes, wo die Straßen holprig waren und auch winklig verliefen. Manche Häuser zeigten eine Fachwerkfassade, andere waren verputzt worden.
Kinder spielten Fußball, Frauen standen zusammen, hielten trotz des schlechter gewordenen Wetters ein Schwätzchen. Ein Lebensmittelhändler räumte seine draußen aufgebauten Waren mit einem Lehrling zusammen, und aus einer Seitenstraße kam ein Trecker, ohne auf die Vorfahrt zu achten, so daß ich gezwungen war, scharf zu bremsen.
Der BMW rutschte ein Stück, dann stand er.
Wir ließen den Trecker passieren. Auf dem Bock hockten Vater und Sohn. Der Junior saß am Steuer. Ich fragte mich, ob er überhaupt einen Führerschein hatte.
»Das ist eben typisch Dorf«, sagte Eva, die meinen ärgerlichen Blick bemerkt hatte.
Wir fuhren durch eine schmale Gasse, wo es keine Gehsteige gab. Dann wurde es besser. Wir mußten scharf nach rechts fahren und rollten auf ein querstehendes Haus zu.
»Hier habe ich gewohnt.«
Das Haus war wirklich schmal. Die Fassade mit dem Fachwerk hätte erneuert werden müssen. Was einmal weiß gewesen war, besaß nun eine schmutziggelbe Farbe.
Kein Auto parkte vor dem Haus. Dafür sah ich eine alte Eisenbank, die Rost angesetzt hatte. Die Fenster waren nicht sehr groß. Kleine Vierecke, hinter denen halblange Gardinen hingen.
»Wirkt nicht besonders einladend, wie!?«
Ich hob die Schultern. »Es kommt nicht darauf an, wie man gewohnt hat. Hauptsache ist doch, daß man sich zu Hause wohl fühlte.«
»Denken Sie tatsächlich so, John?«
»Ja,«
»Dann gehören Sie zu den ehrlichen Menschen.«
»Sagen wir mal so. Ich versuche, ehrlich zu sein. Immer bin ich das auch nicht.« Mein Lächeln fiel knapp aus, und Eva hatte schon verstanden. Ich ließ ihr den Vortritt. Sie blieb an der Tür stehen und drückte auf den dunklen Klingelknopf.
Ich schaute zurück.
Der Wind fuhr durch die schmalen Straßen und Gassen, er wieselte auch um Hausecken oder schob Unrat vor sich her.
Jemand öffnete die Tür. Nicht hastig oder ruckartig, sehr vorsichtig, als würden die Leute im Haus Diebe erwarten. Ein Gesicht erschien im Türspalt. Auf mich machte es einen gequälten, sorgenvollen Eindruck. Eva kannte die Frau.
»Mutter«, sagte sie leise, aber immerhin so laut, daß auch ich sie verstehen konnte.
»Eva?« Die Frau hauchte den Namen ihrer Tochter, als könnte sie kaum glauben, wer da gekommen war.
»Ja, ich.«
»Komm bitte, oder willst du…?« Frau Leitner stockte, als sie mich hinter ihrer Tochter erscheinen sah.
»Das ist John. Er kommt aus London. Wir beide sind befreundet.« Eva schaute mich beschwörend an.
»Ja, das stimmt, Frau Leitner.«
Sie war trotzdem nicht so recht zu überzeugen. »Ein Fremder«, flüsterte sie. »Ausgerechnet jetzt…«
»Soll ich wieder gehen?«
»Das kommt nicht in Frage.« Eva hielt mich am Ärmel fest und drückte gleichzeitig die Tür auf, weil ihre Mutter sie losgelassen und zurückgewichen war.
Wir standen in einem winzigen Flur. Ich reichte der Frau die Hand und schaute sie mir dabei an. Sie hatte noch das gleiche volle Haar wie ihre Tochter. Nur war es mittlerweile grau geworden. Der Schmerz über den Verlust der Tochter war ihr ins Gesicht
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