0491 - Ein Toter läuft um sein Leben
Sie ihn nicht selber?«
»Er behauptet, völlig gesund zu sein.«
»So?« Der Arzt schien überrascht. Dann schaute er mich an. »Warum kommen Sie zu mir?«
»Ich muß die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand wissen, Doktor.«
»Warten Sie«, sagte der Arzt. »Ich hole die Karte.« Er ging in das Nebenzimmer. Ich hörte, wie er sich an einem Stahlschrank zu schaffen machte. Er kam mit der Karte zurück. »Tom Blight«, sagte er ernst. »Er leidet an Krebs. Ich gebe ihm noch höchstens zwei Jahre.« Er holte tief Luft. »Ich hätte Ihnen das schwerlich mitgeteilt, wenn der Patient über seinen Zustand nicht schon genau Bescheid wüßte!«
»Ist es denn üblich, einem gleichsam zum Tode verurteilten Kranken die letzte Hoffnung zu rauben?« fragte ich verblüfft.
Rendall lächelte bitter. »Keineswegs, das widerspräche jeder ärztlichen Ethik. Tom Blight hat meine Sprechstundenhilfe mit einem Trick überlistet. Er weiß seit gestern, was mit ihm los ist und was ihn erwartet. Er weiß, daß er sterben muß. Als er wegging, sagte er: ›Dann bin ich ja praktisch schon tot. Die zwei Jahre ändern auch nichts mehr‹.«
»Danke, Doktor, diese Auskunft genügt mir.«
»Was ist mit Mr. Blight? Sie schulden mir eine Erklärung! Hat er etwas angestellt?«
»Offenbar hat er versucht, sein Schicksal zu überlisten. Kennen Sie ihn gut?«
»Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Ich fertige täglich bis zu dreißig Patienten ab.« Er hob die Karte hoch. »Da kann ich ohne schriftliche Hilfestellung nicht auskommen.«
»Blight war entschlossen, in die letzten beiden Jahre seines Lebens alles hineinzupacken, was das Dasein lebenswert macht: Glück, Liebe und Reichtum. Er ist ein Toter, der um sein Leben läuft. Besser gesagt, um das, was er unter Leben versteht. Das Glück konnte er nicht ohne die Liebe erringen, und die Liebe und die Ehe wären ihm ohne Barmittel versagt geblieben. Also setzte er alles auf eine Karte! Er hatte keine Zeit mehr, um rasch viel Geld zu verdienen. Deshalb nahm er sich ganz einfach, was er brauchte.«
»Er hat gestohlen?«
»Schlimmer. Er hat gemordet. Sie sind Arzt. Kann das Wissen von dem bevorstehenden Tod das Innenleben eines Menschen völlig umkrempeln?« fragte ich.
»Jaja, natürlich, dafür gibt es mehr als ein Beispiel«, murmelte Rendall.
»Tom Blight war arm. Er brauchte viel Geld, um die letzten beiden Jahre seines Lebens in finanzieller Sorglosigkeit verbringen zu können, und er brauchte dieses Geld sehr rasch! Es mag für ihn sprechen, daß er sich das Geld von einem Mann beschaffte, von dem er wußte, daß er ein skrupelloser, brutaler Gangster war. Aber nicht einmal das entschuldigt einen Mord.«
»Nein«, murmelte Dr. Rendall. »Sie haben recht. Mord kennt keine Entschuldigung.«
***
Die Sache schien sonnenklar.
Tom Blight hatte den Tabakwarenhändler offensichtlich in einem Anfall von Verzweiflung getötet.
»Alles paßt großartig zusammen«, sagte ich zu Phil. Wir saßen in der Küche der Raggardschen Wohnung. Ein Kollege, Steve Dillaggio, verhörte das Mädchen im Wohnzimmer. »Die Zigaretten, die Blight bei Weston kaufte, obwohl er keine Verwendung für sie hatte, und die Lüge, die er Lucille auftischte, um sie heiraten zu können…«
Phil nickte. »Blight glaubte; daß das Leben ihm wenigstens diese zwei Jahre puren Glücks schuldete, und er schreckte nicht einmal vor dem Äußersten zurück, um dieses Scheinglück zu realisieren.«
Die Tür öffnete sich. Steve trat ein. Er lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie glaubt einfach nicht daran. Sie bestreitet, daß er es getan haben könnte.«
Ich rieb mir das Kinn. »Komisch, ganz plötzlich kommen mir auch gewisse Zweifel.«
»Die Indizien sprechen ganz eindeutig gegen Blight«, stellte Phil fest.
»Stimmt, aber du weißt, wie es mit Indizien zuweilen geht,« sagte ich. »Sie fügen sich zu einer perfekt anmutenden Kette zusammen, und plötzlich entdeckt man, daß es nur eine Talmikette ist. Es gibt keinen Ersatz für echte Beweise. Wir brauchen Blights Geständnis!«
»Was läßt dich plötzlich an Blights Schuld zweifeln?« fragte Steve.
»Da gibt es gleich ein paar Dinge,« erwiderte ich. »Da wäre erstens der flaschengrüne Wagen zu nennen, der zur Tatzeit vor dem Laden stand, und das Mädchen, das mit ihm eintraf und wegfuhr…«
»… und Robert Lindsay, der gleichfalls ungefähr zur Tatzeit im Laden war,« ergänzte Phil nachdenklich. »Und wie fügt sich die
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