0492 - Die Wölfin von Rom
die linke Brust. »Wer war es?«
»Keine Ahnung. Ein Unbekannter, der mich aber kannte.«
»Kennst du ihn auch?«
»Das ist eine gute Frage«, erwiderte ich nickend und dachte dabei über die Stimme nach.
Okay, sie war verstellt gewesen, dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, sie schon einmal gehört zu haben. Irgendwann und irgendwo.
Eine Frau, ein Mann? Ich schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Wenn die Person etwas von mir wollte, würde sie sich früh genug melden.
»Ob sich der Junge in der Gewalt des Anrufers befindet?« fragte Marcella.
»Daran glaube ich.«
»Man sollte ihn vierteilen!« keuchte sie und ballte beide Hände zu Fäusten. »Ein Kind zu entführen. Das sind Schweine, jawohl Schweine.«
»Dabei war es ein Wolf«, sagte ich.
Marcella verstummte. In ihrem Gehirn arbeitete es. »Si, ein Wolf, der sprechen kann?«
Ich wiegte den Kopf. »Das ist eben die Frage. Aber ich habe etwas Ähnliches schon erlebt.«
»Wo denn?«
»Ich kannte Werwölfe, die auch redeten. Möglicherweise haben wir es hier mit Werwölfen zu tun. Zumindest mit einem, dem Anführer, der die Wölfe für sich morden läßt.«
»Was willst du denn jetzt machen?«
»Ich werde meinen Freunden Bescheid geben, die im Hotel auf mich warten. Den Anruf hatte ich ihnen sowieso versprochen.«
»Sollen sie dann herkommen?«
»Es wäre nicht einmal das schlechteste. Zumindest meinen Partner Suko möchte ich bei mir haben.«
»Wie du meinst.« Marcella deutete auf das Telefon.
Suko und die Conollys wohnten im »Hassler«, Roms bestem Hotel. Von dort aus hatte man einen prächtigen Blick über die Stadt und auch über die Spanische Treppe, die zu den Füßen des Hotels lag.
Es war zwar noch früh am Morgen, ich aber glaubte, daß Suko bereits auf den Beinen war.
Man verband mich schnell. Ich hörte seine Stimme so deutlich, als würde er neben mir stehen. »Na, du alter Penner? Hat man dich wieder aus dem Knast entlassen?«
»Ja, mit allen Ehren.«
»Wie ist die Witwe?«
»In Ordnung, aber deshalb rufe ich nicht an. Schwing dich in ein Taxi und komm her.«
»Was ist denn passiert?« Die Stimme des Inspektors klang sehr ernst.
»Ich hatte meine erste Begegnung mit einem Wolf.«
»Wie das?«
Suko hörte sich meinen Bericht an. Ich vergaß auch nicht, den Drohanruf zu erwähnen, und Suko stellte natürlich die Frage, wer hinter all diesen Vorgängen stecken konnte.
»Tut mir leid, ich habe die Stimme wirklich nicht identifizieren können.«
»Aber es gibt einen Boß oder einen Chef im Hintergrund.«
»Klar, dahinter steckt Methode. Sonst sind die Wölfe nur in der Nacht erschienen, jetzt lassen sie sich schon am Tage sehen. Ich habe den Eindruck, als würden wir uns allmählich dem Höhepunkt nähern.«
»Gut, ich komme zu dir.«
»Okay.«
»Ach so, was hast du vor?«
»Einen Spaziergang mit dir machen«, sagte ich und legte den Hörer wieder auf.
»Kommt dein Freund?« fragte Marcella.
Ich nickte. »Er ist außerdem mein Partner. Ein Chinese, der wie ich beim Yard arbeitet.«
»Und ihr löst die Fälle gemeinsam?«
Ich lächelte. »Wir geben uns Mühe. Einer kann sich dabei auf den anderen verlassen.«
»Das ist gut.«
Ein glockenhelles Geräusch schwang durch Flur und Küche. Jemand stand vor der Tür und hatte an der Klingelschnur gezogen.
Marcella erhob sich.
»Wer kann das sein?« fragte ich.
»Keine Ahnung, John. Werden wir gleich sehen.« Sie schaute auf Nadine. »Willst du sie nicht lieber verstecken?«
»Klar.«
Ich scheuchte Nadine in die erste Etage hoch. Als die Wölfin nicht mehr zu sehen war, öffnete Marcella. Ich stand im Halbdunkel des Flurs, hörte ihre Stimme, sah den Besucher aber nicht, weil Marcella mir das Blickfeld versperrte.
»Ah, Gibli, unser Auge des Gesetzes. Bitte, komm herein und trink eine Tasse Kaffee mit uns.«
»Ja, aber ich will mich nicht lange aufhalten. Ich habe nur einige Fragen.«
»Gern. Für dich habe ich doch immer Zeit.«
Sie gab den Weg frei. Ein junger Mann in der Uniform eines Carabiniere betrat den Flur. Er ging durch zur Küche, wo ich saß, sah mich und blieb überrascht stehen.
Bevor er eine Frage stellen konnte, gab die Witwe eine Erklärung ab. »Ich habe einen neuen Untermieter bekommen. Einen Engländer. Er heißt John. Ein netter Bursche.«
Gibli stellte sich ebenfalls vor und nahm seine Mütze ab. Scharf musterte er mich. »Eigentlich habe ich Sie gesucht«, sagte er.
»Wieso?«
»Zeugen
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