0492 - Die Wölfin von Rom
darüber, daß sie so etwas aussprechen konnte. Dazu brauchte sie Nerven, und die hatte sie in diesem Augenblick.
»Wie kannst du so etwas sagen!«
Sheila faßte Bill an und zog ihn in die Höhe. »Komm jetzt mit aufs Zimmer. Wir müssen etwas unternehmen.« In ihren Augen blitzte es plötzlich. »Ich sehe nicht ein, daß wir unseren Sohn diesen Bestien kampflos überlassen. Nein, Bill, ich werde um Johnny kämpfen, und du bist dabei!«
Der Reporter wehrte sich nicht. Wie ein Greis schritt er neben seiner Frau her.
Der Lift brachte sie in die vierte Etage. Sie hatten für die ausgestellten Kostbarkeiten keinen Sinn. Vorbei an Antiquitäten und wertvollen Bildern schritten sie zu ihrem Zimmer.
Es gab drei Räume. Der Wohnbereich war getrennt vom Schlafraum und auch von den Naßräumen.
Die Nummer hatte sich Sheila aufgeschrieben. Sie telefonierte durch und bekam die Witwe Marcella an die Strippe. Wenig später brach ihre Hoffnung zusammen, als sie erfahren mußte, daß John Sinclair und Suko nicht im Haus waren. Die Witwe wußte auch nicht, wann sie zurück sein wollten.
»Auf jeden Fall muß John Sinclair im Hassler anrufen«, sagte Sheila. »Es ist lebenswichtig.«
»Ich werde es ihm bestellen, Signora.«
Sheila legte auf und drehte sich zu Bill um, der am Fenster stand und seine Hände in den Hosentaschen vergraben hielt. Er wandte sich nicht um und sprach die folgenden Worte gegen die Scheibe.
»Wenn sie dem Jungen tatsächlich etwas tun, Sheila, laufe ich Amok. Das verspreche ich dir.«
Sheila erwiderte nichts. Sie lauschte dem Klang der Stimme und begann sich vor ihrem eigenen Mann zu fürchten…
***
An den Ecken spielten die kleinen Gauner aus dem Viertel Karten, auf einer Bank saßen alt und jung zusammen, ließen sich von der Sonne bescheinen und hielten ein Schwätzchen. In der Via Giubbonari, der Klamottengasse, suchten Passanten nach getragener Kleidung, in den Innenhöfen hängten Frauen die Wäsche auf, aus einer Schmiede tönte der helle Klang eines Hammers. Wir hörten auch das schrille Singen der Kreissäge aus einer Schreinerei. Irgendwo kläfften Hunde, Katzen streunten um unsere Füße. In einem Gipsladen hämmerte der Besitzer an einer lebensgroßen Figur herum, und gegenüber stand ein Messerschleifer, der die Werkzeuge seiner Kunden wetzte.
Was der Campo bot, war einfach unwahrscheinlich. Überraschend, interessant, genial, er steckte voller Leben und war kaum zu beschreiben.
Das alles hatten Suko und ich schon mitbekommen, als wir die schmalen Gassen um den Campo durchwanderten. Wir hatten von der Atmosphäre eingesaugt, was einzusaugen war. Wir hatten uns treiben lassen im Gedränge oder waren allein in schmale Einfahrten gehuscht, um in die Innenhöfe schauen zu können.
Ein Wolf war uns nicht über den Weg gelaufen. Sie schienen sich verzogen zu haben.
Auch die Einheimischen dachten wohl nicht mehr daran. Jedenfalls war von einer Furcht nichts zu spüren. Lautstark führten sie ihre Unterhaltungen, man stritt sich, man schimpfte, man vertrug sich wieder, handelte und kaufte.
Beide wunderten wir uns, daß trotzdem noch Fahrzeuge durch die schmalen Straßen fuhren, ohne mit der Karosserie an den Hauswänden zu kratzen oder über hohe, vorstehende Treppenstufen zu rollen.
Wer hier lebte, kannte sich aus und hielt sich an die Regeln. Touristen sahen wir keine, jedenfalls fielen uns keine auf. So waren wir wohl die einzigen.
Den Campo selbst, wo der Markt stattfand, hatten wir bisher noch nicht gesehen, nur gehört. Suko machte den Vorschlag, uns dort einmal umzusehen.
Ich blieb stehen und lehnte mich gegen eine warme Hauswand.
Es war nicht sommerlich heiß, soviel Kraft hatte die Sonne noch nicht, aber ihre Strahlen schafften es bereits, uns den Schweiß auf die Stirn zu zaubern. In den Gassen stand die Luft, da wehte kein kühler Windzug durch.
»Glaubst du, daß wir die Wölfe auf dem Markt finden werden?«
»Eigentlich nicht. Aber ich möchte mir nachher keine Vorwürfe machen, etwas ausgelassen zu haben.«
»Stimmt.« Irgendwo wurde Fleisch gegrillt, ich bekam direkt Appetit.
»Schlaf nicht ein!« sagte Suko und stieß mich an.
»Mir fehlt noch von der letzten Nacht der Schlaf. Eine Zelle ist kein Vergnügen.«
Wir brauchen nur durch die Gasse zu gehen, um den Markt zu erreichen. Und der öffnete sich plötzlich vor uns. Es war für mich eine neue, irgendwie fremde Welt. Wir waren es gewohnt, durch die Gassen zu gehen und eingekerkert von Hauswänden zu
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