0499 - Todesblues für Marylin
meinem Zimmer. Die Tür an der rechten Seite war viel schmaler.
Ich probierte es links. Der Regel glitt lautlos zurück.
Das Zimmer glich dem meinen wie ein Zwillingsbruder: Bett, Tisch und ein Schrank, ein Waschbecken und ein Hocker.
Und in dem Bett lag Phil, starr und bewegungslos, mit offenen Augen, so wie ich ihn auf der Veranda gesehen hatte.
Ich berührte sein Gesicht. »Phil!«
Keine Reaktion.
Ich stieß den Zeigefinger dicht vor sein linkes Auge und stoppte erst kurz vor seinem Gesicht ab.
Er zeigte keinerlei Reflexe, aber er atmete.
»Phil!« rief ich leise, »Ich bin’s, Jerry!«
Sein Kopf rollte haltlos hin und her, als ich ihn bewegte. Phil stand unter der Einwirkung mir völlig unbekannter Narkotika. Wahrscheinlich waren es die gleichen, die man auch mir verabreicht hatte. Aus irgendeinem Grund überstand ich sie besser. Andererseits konnte Phil auch Verletzungen davongetragen haben, die seinen Zustand in dieser besorgniserregenden Weise verschlimmerten.
Eins wußte ich: so, wie Phil vor mir lag, bekam ich ihn niemals hier heraus. Ich mußte die Schwester finden, nur sie konnte mir helfen.
Ich zog meine Schuhe aus und schob sie weit unters Bett. Dann verließ ich das Zimmer, legte den Hiegel vor und tat das gleiche bei meinem Zimmer.
Ich mußte mich in einem riesigen Gebäude befinden. Der Korridor verlor sich irgendwo in der Dunkelheit. Nirgends gab es ein Fenster. Wie spät war es eigentlich? Ich hatte vergessen, die Schwester danach zu fragen.
Ich erreichte den Fahrstuhl, mit dem man mich in den Keller transportiert hatte. Daneben führte eine ziemlich breite Treppe nach oben und nach unten.
Ich wählte den Weg in den Keller.
Das Haus war wie ausgestorben. Keine Uhr tickte. Auch von außen drangen keinerlei Geräusche durch das feste Gemäuer.
Ich mußte die Schwester finden! Ich brauchte das Gegengift für Phil. Ohne ihn konnte ich nicht raus.
Der Keller lag genauso ausgestorben vor mir wie die oberen Räume. Auf einmal kam es mir so vor, als ob jemand musizierte. Es klang wie ein Jazzorchester in kleiner Besetzung. Deutlich hob sich die Solotrompete von der Begleitung ab.
Ein Blues, meisterhaft gespielt!
Ich folgte der Musik. Sie wurde immer lauter. Ich stand vor einer weißlackierten Tür. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter. Der rechte Flügel öffnete sich geräuschlos.
Zuerst sah ich nichts. Der ganze Raum war in ein tief dunkelrotes Licht getaucht. Auf einem Konzertpodest stand ein Mann und blies Trompete. Von dem neben ihm stehenden Tonbandgerät kam die Begleitmusik.
Ich kannte den Mann. Aber ich kannte auch die Frau, die in verkrümmter Haltung vor ihm lag.
»Komm!« sagte Boro. Es war ein Befehl. Marilyn folgte ihm wie unter einem hypnotischen Zwang.
Er ging neben ihr, holte, als ob er Röntgenaugen besäße, die Pistole aus ihrer Manteltasche und führte Marilyn zum hinteren Kellereingang.
Die Frau hatte alle Schönheit verloren. Ihr Gesicht wirkte auf einmal alt und verfallen.
»Boro!« sagte sie. »Was — was willst du tun?«
Er lächelte. »Das, was ich schon längst hätte tun sollen. Du wirst erfahren, wer ich wirklich bin.«
»Wer bist du?«
»Komm«, sagte er wieder und führte sie durch eine hohe Flügeltür. Der Raum war an den Wänden mit Teppichen behängen. Auf dem Boden lagen Kissen.
»Weiß Kushman, daß du hier bist?«
»Nein.«
»Das ist gut, das ist sogar sehr gut, mein Liebling. Er glaubt, er weiß alles, er brauche nur zu befehlen, und seine Leute holten für ihn die Kastanien aus dem Feuer. Hinterher ist er der große Mann! Der große Boß!« Er lächelte wieder. »Aber sie haben sich alle verrechnet, Kushman, die verdammten FBI-Spitzel und du, Marilyn!«
Die Frau starrte ihn an. »Wer bist du?«
»Weißt du es immer noch nicht?«
»Nein.«
»Ich bin der kleine Boro! Der Boro, der sich jahrelang von Fergolini herumkommandieren ließ. Wo ist er jetzt? Der große Boß der New Yorker Cosa Nostra? Tot! Ausgelöscht!«
»Hast du die Wohnung auf meinen Namen gemietet?«
»Wer sonst?« prahlte er.
»Und Kushman? Habe ich dir nicht immer alles berichtet, was er tat, was er vorhatte, und was für Geschäfte er machte?« Er nickte. »Ja, das hast du, Marilyn. Und ich habe dich gut dafür bezahlt. Und du warst meine Freundin. Die Freundin des kleinen Boro, der alle überlistet hat.«
Marilyn wich vor ihm zurück. »Was willst du von mir?«
»Warum bist du hierhergekommen?« fragte er hart. Das Träumerische war auf einmal aus
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