0499 - Todesblues für Marylin
seinen Worten und Gesten verschwunden. »Bist du hinter diesem verdammten Cotton her? Gefällt dir seine Larve? Willst du ihn retten?«
»Er ist also hier!«
»Ja, und sein Freund ebenfalls.«
»Und was willst du mit ihnen anfangen?«
»Nichts! Das überlasse ich Sinclair!«
»Ihr seid Idioten! Sie werden euch vernichten, wenn ihr die beiden G-men tötet!«
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wer sagt dir, daß sie getötet werden? O nein, so dumm sind wir nicht. Wir werden hübsche kleine Lämmchen aus ihnen machen, unschuldige kleine Schafe, die nicht einmal laut blöken können.«
»Du Scheusal! Du Bestie!«
Er sprang auf sie zu und schlug sie ins Gesicht.
Wimmernd ging sie zu Boden.
Er kniete neben ihr nieder, fesselte die Hand- und Fußgelenke und schleppte sie vor ein Podest.
In seinen Augen flimmerte ein irres Licht. »Ich habe dir versprochen, daß du mich so siehst, wie ich wirklich bin. Der Zeitpunkt ist gekommen.«
Er rannte hin und her, stellte ein Tonbandgerät auf, schob ein Podest daneben und betrachtete den Aufbau mit wohlgefälligen Blicken. Dann entnahm er einem Lederetui eine Trompete.
»Ich werde dir etwas Vorspielen, mein Herzchen. Den Todesblues des kleinen Boro. Es ist der schönste Blues, den es gibt.«
Marilyn krümmte sich am Boden. Sie merkte, daß sie einem Wahnsinnigen ausgeliefert war. Einem Menschen, der nicht mehr mit normalen Maßstäben zu messen war.
Wieso hatte sie diesen Zustand nie an ihm bemerkt? Wie hatte Boro sie über Jahre hinweg täuschen können?
Marilyn ahnte, daß es für sie kein Entrinnen mehr gab. Sie beobachtete jede seiner Bewegungen. Wie er zu einer fahrbaren Eisbox ging, eine Flasche Champagner herausnahm, entkorkte und zwei Gläser füllte.
Was sie nicht sah, sollte sie das Leben kosten. Es war eine Kapsel. Er ließ sie blitzschnell in das eine Glas fallen.
Mit den beiden Gläsern trat er an sie heran.
»Trink mit mir! Ich will, daß du zuhörst. Und zuhören kann man nur, wenn man trinkt.«
Sie drehte den Kopf weg.
Er preßte ihr das Glas an die Lippen, öffnete durch einen Druck auf Ober- und Unterkiefer ihren Mund und schüttete ihr den Inhalt des Glases hinein.
Sie spürte den eigenartigen Geschmack nicht, der von dem perlenden Bukett des Champagners überdeckt wurde.
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie Boro das Podest bestieg, das Tonbandgerät in Gang setzte, die Trompete liebevoll in die Hände nahm und anfing zu blasen.
Die Musik schien sie zu berauschen.
Starr blickte sie auf den Mann, der in verzückter Haltung den Todesblues spielte.
Plötzlich bäumte sie sich auf. Sie öffnete den Mund, als ob sie schreien wollte, und brach lautlos neben dem Podest zusammen.
***
Er blickte mich an. Langsam schien er zu begreifen, daß ich Wirklichkeit war. Er setzte die Trompete ab.
Trotzdem hörte ich das Solo. Er hatte die Partie lediglich imitiert.
Der eigenartige Ausdruck in seinen Augen verschwand. Er legte die Trompete auf das Podest und holte dafür eine Pistole aus der Tasche. Er sprang herunter. Schritt für Schritt kam er auf mich zu. Die Mündung war auf meine Brust gerichtet.
»Der G-man«, flüsterte er. »Das Schaf, das nicht einmal blöken kann!«
Ich verstand nicht, was er damit meinte. Um so klarer war mir, daß er jeden Augenblick abdrücken konnte.
Ich hatte nichts gegen ihn einzusetzen als meine Hände und meinen Verstand. Mit Vernunftgründen war ihm nicht beizukommen.
»Boro«, sagte ich. »Sie haben wunderbar gespielt. Sie sind ein Meister auf der Trompete!«
Für einen Augenblick sah es so aus, als ob er darauf hereinfallen würde. Er entspannte sich etwas. Sekunden später setzte ein verstärktes Trompetensolo ein. Sein Gesicht wurde zur Maske.
»Sie kennen also mein Geheimnis«, keuchte er. »Aber Sie werden es niemand weitersagen, niemand!«
»Marilyn hat es auch gehört«, sagte ich und wies mit dem Kopf auf die Frau. Unwillkürlich drehte er sich um.
Ich sprang ihn an. Ein Schuß löste sich und zischte neben meinem rechten Ohr vorbei. Doch da hatte ich ihn bereits im Griff. Die Verzweiflung verlieh ihm ungeahnte Kräfte, und ich war durch die Drogen geschwächt. Es gelang ihm, sich frei zu machen.
Ich schlug ihm die Pistole aus der Hand. Sofort zog er ein Messer hervor.
Ich wehrte ihn zunächst mit einem Judogriff ab. Er fiel, kam aber schnell wieder auf die Beine und sprang mich zum zweitenmal an. Das Messer zischte vorbei. Ich merkte, daß meine Reaktionen viel zu langsam
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