05 - Der Kardinal im Kreml
Gennadi Josifowitsch war inzwischen über vierzig. Nachdem er einmal bewiesen hatte, daß er ebensogut klettern konnte wie die jungen Hirsche, brauchte er das nie wieder zu tun. Im Augenblick bewegte ihn etwas anderes.
Was macht Mischa? Als der Mann aus dem Ministerium verschwunden war, hatte er angenommen, daß er krank war. Als die Abwesenheit aber mehrere Tage gewährt hatte, begann er die Sache ernst zu nehmen und fragte den Minister, ob Oberst Filitow im Krankenhaus läge. Die Antwort, die er damals bekommen hatte, war beruhigend gewesen -, aber nun regten sich Zweifel. Minister Jasow hatte zu rasch, zu zungenfertig reagiert -, und dann hatte Bondarenko den Befehl erhalten, zu Projekt Heller Stern zurückzukehren und die Anlage gründlich zu studieren. Der Oberst hatte das Gefühl, daß man ihn aus dem Weg haben wollte -, aber warum? Warum hatte Jasow so seltsam auf seine harmlose Frage reagiert? Hinzu kam die Tatsache, daß man ihn überwachte. Konnten diese beiden Dinge in einem Zusammenhang stehen? Der Zusammenhang war so offensichtlich, daß Bondarenko ihn ohne weiteres Nachdenken ignorierte. Mischa als Ziel einer Ermittlung der Sicherheitsorgane, das war einfach unvorstellbar. Viel wahrscheinlicher war, daß er einen streng geheimen Auftrag für Jasow ausführte. Bondarenko schaute hinab auf den mächtigen Erddamm des Nurek-Wasserkraftwerks. Die zweite Hochspannungsleitung war fast fertig, wie er feststellte, als vor dem Anflug auf Duschanbe-Ost Landeklappen und Fahrwerk ausgefahren wurden. Nach der Landung verließ er als erster die Maschine.
«Gennadi Josifowitsch!»
«Guten Morgen, Genosse General», sagte Bondarenko überrascht.
«Kommen Sie mit», sagte Pokryschkin, nachdem er den Gruß des Obersten erwidert hatte. «Dann brauchen Sie nicht mit diesem Bus zu fahren.» Er winkte seinem Feldwebel, der Bondarenko den Koffer aus der Hand wand.
«Sie hätten nicht persönlich zu kommen brauchen.»
«Ach was.» Pokryschkin ging voraus zu seinem Hubschrauber, dessen Rotoren sich bereits drehten. «Irgendwann muß ich mir auch mal Ihren Bericht ansehen. Gestern hatte ich gleich drei Minister hier. Endlich hat man rundum gemerkt, wie wichtig unsere Arbeit ist, und unseren Etat um fünfundzwanzig Prozent erhöht - ich wollte, ich könnte mit meinen Meldungen soviel bewirken!»
«Aber ich habe doch nur -»
«Überflüssig, Oberst. Sie haben die Wahrheit erkannt und anderen weitervermittelt. Nun gehören Sie hier zur Familie. Wie wäre es, wenn Sie nach Abschluß Ihrer Arbeit in Moskau ganz zu uns kämen? In Ihrer Personalakte werden Sie als vorzüglicher Ingenieur und Verwaltungsfachmann beurteilt. Ich brauche einen guten Stellvertreter.» Pokryschkin drehte sich mit einem Verschwörerblick um. «Könnte ich Sie vielleicht dazu bewegen, die Uniform der Luftwaffe anzulegen?»
«Genosse General, ich -»
«Ich weiß, wer einmal Soldat der Roten Armee ist, bleibt auch dabei. Das soll Ihnen bei uns nicht zum Nachteil gereichen. Außerdem können Sie mich gegen diese Knochenköpfe vom KGB unterstützen. Bei einem Flieger wie mir können die sich mit ihrer Erfahrung dicke tun, aber gegenüber einem Mann mit Gefechtsauszeichnung sähe das anders aus.» Der General bedeutete dem Piloten mit einer Handbewegung, er möge starten. «Warten Sie nur, Gennadi, in ein paar Jahren sind wir hier ein ganz neuer Verein, die «Kosmos-Verteidigung» vielleicht. Sie können sich hier eine ganz neue Karriere aufbauen und weit kommen. Überlegen Sie sich das ernsthaft. In drei, vier Jahren sind Sie sowieso General, aber ich kann Ihnen mehr Sterne garantieren als die Armee.»
«Im Augenblick aber -» Bondarenko wollte über den Vorschlag nachdenken, aber nicht im Hubschrauber.
«Im Augenblick sehen wir uns die Spiegel und Computerprogramme der Amerikaner an. Der Chef unseres Spiegelteams meint, die amerikanische Konstruktion ließe sich unseren Geräten anpassen. Es wird ein Jahr dauern, bis die Pläne fertig sind. Nur über den eigentlichen Bau bestehen noch Zweifel. Inzwischen stellen wir Reservelaser fertig und bemühen uns, sie wartungsfreundlicher zu machen.»
«Das dauert auch seine zwei Jahre», merkte Bondarenko an.
«Mindestens», stimmte General Pokryschkin zu. «Vor meiner Abberufung wird das Programm keine Früchte tragen. Das ist unvermeidlich. Nach einer weiteren erfolgreichen Großerprobung wird man mich nach Moskau abberufen und zum Leiter der entsprechenden Abteilung im Ministerium machen. Einsatzfähig ist das
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