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05 - Der Kardinal im Kreml

05 - Der Kardinal im Kreml

Titel: 05 - Der Kardinal im Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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einen anderen Mantel an, aber der paßte nicht, und
Altunin wollte seine Freunde auch nicht weiter gefährden. Er trat hinaus
auf die Trofimowo, eine schäbige Durchgangsstraße nahe der Moskwa.
Altunin mußte über seine eigene Dummheit staunen. Er hatte immer
vorgehabt, sich auf einem Lastkahn aus der Stadt zu stehlen, falls die
Flucht einmal notwendig werden sollte. Sein Vater war Flußschiffer gewesen
und Altunin kannte Verstecke, die niemand finden konnte. Doch nun
war der Fluß zugefroren, der Schiffsverkehr zum Stillstand
gekommen.
Es muß einen anderen Weg geben, sagte er sich. Das MoskwitschWerk war nur einen Kilometer entfernt und hatte einen Gleisanschluß.
Er konnte versuchen, einen Zug nach Süden zu erwischen, sich vielleicht
in einem mit Ersatzteilen beladenen Güterwagen verstecken. Mit einem
bißchen Glück mochte es ihm gelingen, bis nach Georgien durchzukommen, wo man seine neuen Papiere nicht zu genau inspizieren würde. Die
Sowjetunion war groß, und Ausweise gingen immer wieder einmal verloren. Allerdings fragte er sich, ob diese Gedanken realistisch waren oder
nur den Zweck hatten, ihm Mut zu machen.
Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Begonnen hatte alles in Afghanistan, und er fragte sich, ob es jemals ein Ende nehmen würde.
Anfangs war er noch in der Lage gewesen, es zu verdrängen. Als
Gefreiter in einer Munitionsgruppe hatte er an Dingen gearbeitet, die
beim sowjetischen Militär beschönigend «Antiterroreinrichtungen» hießen und entweder aus der Luft oder meist von Soldaten nach dem
Durchkämmen eines Dorfes verteilt wurden. Manche hatten die Form
der typischen russischen matrijoschka, der Puppe in der Puppe, eines
Spielzeuglastwagens oder eines Kugelschreibers. Die Erwachsenen lernten schnell, doch die Kinder waren mit Neugier geschlagen und dem
Unvermögen, aus den Fehlern anderer zu lernen. Bald reduzierte man
aus diesem Grund die Anzahl der Puppen, doch eines blieb konstant:
Wenn man einen dieser Gegenstände aufhob, gingen hundert Gramm
Sprengstoff los. Es war seine Aufgabe gewesen, die Bomben zusammenzusetzen und die Soldaten im Umgang mit ihnen zu instruieren.
Anfangs hatte Altunin kaum Gedanken daran verschwendet. Es war
halt seine Arbeit gewesen; der Befehl war von oben gekommen, basta.
Zudem war die Arbeit angenehm und sicher; er brauchte nicht mit dem
Gewehr in der Hand von Banditen verseuchtes Gebiet zu durchstreifen.
Gefahr hatte ihm nur auf den Basaren von Kabul gedroht, und die hatte
er nur in Gruppen aufgesucht. Doch bei einem solchen Marktgang war
ihm ein kleines Kind aufgefallen, dessen rechte Hand nur eine Klaue
gewesen war, und die Mutter hatte ihm und seinen Kameraden einen
Blick zugeworfen, den er niemals vergessen würde. Er kannte die Gerüchte, die damals umgingen - Afghanen zogen gefangenen russischen
Piloten mit Vergnügen bei lebendigem Leibe die Haut ab; oftmals übernahmen Frauen das. Bislang hatte ihm das als Beweis für die Barbarei
dieses Volkes gegolten, doch nach jenem Erlebnis auf dem Basar sah er
jedesmal, wenn er die Sprengladung an ein Spielzeug schraubte, eine
kleine Kinderhand. Bald sah er sie auch im Traum. Alkohol und selbst ein
kurzes Experiment mit Haschisch konnte die Bilder nicht vertreiben.
Auch ein Gespräch mit seinen Kollegen hatte nichts genützt, sondern
ihm nur die zornige Aufmerksamkeit seines Politoffiziers eingetragen.
Eine schwere Aufgabe, hatte der sampolit erklärt, aber zur Verhinderung
weiterer Verluste unerläßlich. Beschwerden über die Maßnahmen seien
sinnlos, es sei denn, der Gefreite Altunin wolle zu einer Schützenkompanie versetzt werden, um sich die Notwendigkeit so drastischer Maßnahmen selbst gegenwärtig zu machen.
Nun wußte er, daß er das Angebot hätte annehmen sollen. Der Dienst
in einer Fronteinheit hätte sein Selbstwertgefühl wiederhergestellt, doch
er hatte sich aus Feigheit gedrückt, und daran ließ sich nun nichts mehr
ändern.
Blieb ihm nur die Buße. Vielleicht hatte er die Untat schon wiedergutgemacht, und wenn ihm nun die Flucht gelang, konnte er die Spielzeuge,
die er für einen so grausamen Zweck präpariert hatte, unter Umständen
vergessen. Das war der einzige positive Gedanke in dieser kalten, bewölkten Nacht.
Er ging nach Norden, mied die unbefestigten Gehsteige, blieb in den
Schatten. Schichtarbeiter, die von der Moskwitsch-Fabrik nach Hause
gingen, belebten die Straße, aber als er den Verschiebebahnhof des Werks
erreichte, war der Berufsverkehr vorüber. Dichter Schnee begann

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