05 - Der Kardinal im Kreml
KGB-Mann, vor dem er sich erst gefürchtet hatte, einen tiefen Schluck trank, und nahm die Flasche dann wieder entgegen.
« Spassiba», sagte der Oberst und verschwand im Schneegestöber. Watutin wartete im Vorzimmer des Vorsitzenden. Um sieben Uhr fünfundzwanzig kam er durch die Tür und winkte ihn mit in sein Büro.
«Nun?»
«Altunin wurde vergangene Nacht auf dem Verschiebebahnhof der Moskwitsch-Werke getötet. Jemand schnitt ihm die Kehle durch und legte seine Leiche auf die Schienen, wo sie von einer Rangierlok überrollt wurde.»
Gerasimow runzelte die Stirn. «Sind Sie auch ganz sicher, daß es sich um Altunin handelt?»
«Ja, ich habe sein Gesicht erkannt. Man fand ihn neben einem Güterwagen, der anscheinend aufgebrochen worden war; es fehlten Autoersatzteile.»
«Ah, er kam also einer Schieberbande in die Quere, die ihn günstigerweise umbrachte?»
«Dieser Eindruck sollte wohl erweckt werden, Genosse Vorsitzender.» Oberst Watutin nickte. «Ich finde den Zufall zwar wenig überzeugend, aber es liegen bislang keine gegenteiligen Beweise vor. Unsere Ermittlungen gehen weiter. Wir prüfen nun nach, ob Kameraden aus Altunins Militärzeit in der Gegend wohnen, aber viel verspreche ich mir davon nicht.»
Gerasimow ließ Tee kommen. Sein Sekretär erschien auf der Stelle, und Watutin erkannte, daß es sich hier um ein Morgenritual handelte. Der Vorsitzende nahm die Dinge leichter, als der Oberst befürchtet hatte. Trotz seines Parteihintergrunds gab er sich professionell:
«Wir haben also drei Kuriere, die gestanden haben, und einen, der eindeutig identifiziert, aber tot ist. Der Tote wurde in nächster Nähe des Referenten des Verteidigungsministers gesehen, und einer der Überlebenden hat als Kontakt einen Ausländer angegeben, kann ihn aber nicht identifizieren. Kurz: Wir haben die Mitte dieser Kette, aber kein Ende.»
«Korrekt, Genosse Vorsitzender. Die Observation der beiden Obersten aus dem Ministerium geht weiter. Ich schlage vor, die Bediensteten der US-Botschaft schärfer zu überwachen.»
Gerasimow nickte. «Einverstanden. Zeit für meine Morgenbesprechung. Bleiben Sie dran, Watutin. Seit Sie weniger trinken, sehen Sie besser aus.»
«Ich fühle mich auch besser, Genosse Vorsitzender», gestand er.
«Ausgezeichnet.» Gerasimow erhob sich. «Glauben Sie wirklich, daß die CIA ihren eigenen Mann ermordete?»
«Sein Tod kam ihr sehr gelegen. Mir ist zwar klar, daß das ein Verstoß gegen unsere - Abmachung wäre, aber -»
«Wir haben es offenbar mit einem Spion an höchster Stelle zu tun, den sie unbedingt schützen wollen. Hm, das verstehe ich. Bleiben Sie dran, Watutin», sagte Gerasimow noch einmal.
«Und wo ist die undichte Stelle?» fragte Parks seinen Sicherheitsoffizier. «Es könnte eine von über hundert Personen sein», antwortete der
Mann.
«Ist ja großartig», merkte Pete Wexton trocken an. Er war Inspektor in
der Abteilung Spionageabwehr des FBI. «Nur hundert.»
«Es könnte ein Wissenschaftler sein, jemandes Sekretärin oder jemand
in der Finanzabteilung - und das wäre nur die Gruppe, die mit dem
Programm direkt befaßt ist. Hinzu kämen noch rund zwanzig in der
Umgebung von Washington, die solches Material gesehen haben können, aber das sind sehr hohe Leute.»
Der Sicherheitschef des SDI-Programms war ein Captain der Navy, der aus
Gewohnheit Zivil trug.
«Höchstwahrscheinlich sitzt die Person, nach der wir suchen, im Westen.»
«Und dort arbeiten vorwiegend Wissenschaftler unter vierzig.» Wexton schloß die Augen. Leute, für die Fortschritt vom ungehinderten
Austausch von Ideen und Informationen abhing, Leute, die begeistert
von neuen Dingen sprachen, unbewußt dem Synergismus auf der Spur,
der Ideen sprießen ließ wie Unkräuter. In der Idealwelt eines Sicherheitsoffiziers redete kein Mensch mit dem anderen, aber eine solche Welt wäre
kaum bewachenswert. Ein Mittelweg war so gut wie unmöglich zu
finden, was zur Folge hatte, daß die Sicherheitsleute rundum verhaßt
waren.
«Wie sieht es bei der Dokumentensicherung aus?» fragte Wexton. «Sie meinen Vogelfallen?»
«Was, zum Kuckuck, ist das?» fragte Parks.
«Alle Schriftstücke des Projekts werden auf Wortprozessoren geschrieben. Man bringt bei jeder Ausfertigung eines wichtigen Dokuments eine winzige Textänderung an, mit deren Hilfe man identifizieren
kann, welche Version an die andere Seite gegangen ist», erklärte der
Captain. «Das haben wir bisher nur selten getan, weil es zu viel Zeit in
Anspruch nimmt.»
«Bei der
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