05 - Der Schatz im Silbersee
erwartet, daß der stolze Apache ihm gar nicht antworten werde; aber Winnetou sagte in ruhigem Ton: „Wer mich nicht kennt, ist ein blinder Wurm, der vom Schmutz lebt. Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apachen.“
„Du bist kein Häuptling, kein Krieger, sondern das Aas einer toten Ratte!“ verhöhnte ihn der Alte. „Diese Bleichgesichter alle sollen den Tod der Ehre am Marterpfahl sterben; dich aber werden wir in das Wasser werfen, daß dich die Frösche und Krebse verzehren.“
„Nanap neav ist ein alter Mann. Er hat viele Sommer und Winter gesehen und große Erfahrungen gemacht; aber dennoch scheint er noch nicht erfahren zu haben, daß Winnetou sich nicht ungerächt verhöhnen läßt. Der Häuptling der Apachen ist bereit, alle Qualen zu leiden, aber beleidigen läßt er sich von einem Utah nicht.“
„Was willst du mir tun?“ lachte der Alte auf. „Deine Glieder sind gebunden.“
„Nanap neav mag bedenken, daß es für einen freien, bewaffneten Mann leicht ist, grob gegen einen gefesselten Gefangenen zu sein! Aber würdig ist es nicht. Ein stolzer Krieger verschmäht es, solche Worte zu sagen, und wenn Nanap neav dies nicht beherzigen will, so mag er die Folgen tragen.“
„Welche Folgen? Hat deine Nase einmal den stinkigen Schakal gerochen, von dem selbst der Aasgeier nichts wissen will? So ein Schakal bist du. Der Gestank, den du – – –“
Er kam nicht weiter. Es ertönte ein Schrei des Schreckens aus den Kehlen aller Utahs, welche in der Nähe standen. Winnetou war dem Alten mit einem gewaltigen Satz gegen den Leib gesprungen, hatte ihn dadurch hintenüber geworfen, versetzte ihm mit der Ferse einige Hiebe und Tritte auf die Brust und gegen den Kopf und kehrte wieder nach seinem Platz zurück.
Auf den allgemeinen Schrei trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, so daß man die laute Stimme des Apachen hörte: „Winnetou hat ihn gewarnt. Nanap neav hörte nicht und wird nun nie wieder einen Apachen beleidigen.“
Die andern Häuptlinge waren aufgesprungen, um den Alten zu untersuchen. Die Hirnschale war ihm an der rechten Seite des Kopfes eingetreten und ebenso ein Teil des Brustkastens. Er war tot. Die roten Krieger drängten heran, die Hände an den Messern und blutgierige Blicke auf Winnetou werfend. Man sollte meinen, daß die Tat des Apachen die Utahs zur heulenden Wut aufgestachelt hätte; dem war aber nicht so. Ihr Grimm blieb stumm, zumal der ‚Große Wolf‘ die Hand zurückweisend erhob und dabei gebot: „Zurück! Der Apache hat den alten Häuptling umgebracht, um schnell und ohne Qual zu sterben. Er dachte, ihr würdet nun über ihn herfallen und ihn rasch töten. Aber er hat sich verrechnet. Er soll eines Todes sterben, den noch kein Mensch erlitten hat. Wir werden darüber beraten. Schafft den alten Häuptling in seiner Decke fort, damit die Augen dieser weißen Hunde sich nicht an seiner Leiche weiden! Sie sollen alle an seinem Grab geopfert werden. Wir werden Old Firehand und Old Shatterhand lebendig mit ihm begraben.“
„Du lebst nicht lange genug, um mich begraben zu können!“ antwortete Old Shatterhand.
„Schweig, Hund, bis du gefragt wirst! Wie willst du die Tage kennen, welche ich noch zu leben habe?“
„Ich kenne sie. Es ist kein einziger mehr, denn morgen um diese Zeit wird deine Seele aus dem Körper gewichen sein.“
„Sind deine Augen so scharf, daß du in die Zukunft zu blicken vermagst? Ich werde sie dir ausstechen lassen!“
„Um zu wissen, wann du stirbst, bedarf es keiner scharfen Augen. Hast du jemals gehört, daß Old Shatterhand die Unwahrheit gesprochen hat?“
„Alle Bleichgesichter lügen, und du bist auch eins.“
„Die Roten lügen; das hast du bewiesen. Wir waren vier Weiße und kämpften mit vier Roten um unser Leben. Im Fall des Sieges sollten wir unsre Gegner töten dürfen und dann frei sein. Wir siegten und schenkten euch das Leben. Dennoch wolltet ihr uns nicht die Freiheit geben. Ihr verfolgtet uns und fielt in unsre Hände. Wir konnten euch das Leben nehmen. Ihr hattet es verdient; wir taten es doch nicht, weil wir Christen sind. Wir rauchten mit euch die Pfeife des Friedens, und ihr gelobtet uns, bis zum Tod unsre Freunde und Brüder zu sein. Wir ließen euch frei, und zum Dank dafür habt ihr uns überfallen und hierher geschleppt. Wer lügt, ihr oder wir? Aber weißt du, was ich dir sagte, bevor wir gegen Abend im Cañon voneinander schieden?“
„Der ‚Große Wolf‘ ist ein stolzer Krieger; er merkt
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