050 - Monsterburg Höllenstein
gewesen. Ein Leben lang wohnte er mit seiner zehn Jahre älteren
Schwester zusammen, die ihm den Haushalt führte. Ernst Dasner wurde vorzeitig
in Pension geschickt. Mit zunehmendem Alter wurde er immer eigensinniger,
verfolgte Fälle, ohne seine Mitarbeiter zu unterrichten, und verhielt sich
anderen gegenüber abweisend, manchmal sogar feindselig. Das war der Zeitpunkt,
wo eine für alle sichtbare Veränderung mit Dasner vorging, und es nicht länger
tragbar war, daß er diesen verantwortungsvollen Posten länger bekleidete. Der
Arzt stellte vorzeitige Verkalkung und damit eine Beeinträchtigung des
Denkvermögens fest. Dasner wurde mit allen Ehren verabschiedet. Thönessen trat
seine Nachfolge an. Das lag sechs Jahre zurück. Inzwischen war Ernst Dasner
fünfundsechzig geworden und im wirklichen Pensionsalter, seine Schwester
fünfundsiebzig. Thönessen, Anfang Fünfzig, war verhältnismäßig unerfahren für
die Aufgabe, die er bewältigen sollte. Anfangs hatte er sich bei dem
ausgeschiedenen Kollegen manchen Tip geholt. Auch privat war man noch einige
Male zusammengekommen. Später war die Bekanntschaft dann versandet. Wer hin und
wieder schließlich noch anrief, war Frieda Dasner. Ihr hatte Thönessen auch das
Versprechen gegeben, sich um sie zu kümmern, wenn mal etwas Wichtiges sein
sollte. Nun war dieses Wichtige offenbar eingetreten. Trotz ihres Alters
schätzte er die Frau als nachdenklich, zuverlässig und überlegt ein. Frieda
Dasner war nicht sprunghaft und rief nicht wegen jeder Kleinigkeit an. Es mußte
hinter dem, was sie angedeutet hatte, schon etwas stecken. Aber was? Der
Kommissar teilte Eckert über das Funksprechgerät mit, daß er kurzfristig an der
weiteren Suche leider nicht teilnehmen könne. Er wollte jedoch so schnell wir
möglich wieder zurück sein.
So fuhr er los und in
die Stadt zurück. Während der Fahrt versuchte er zu ergründen, aus welchem
Grund Frieda Dasner ihn so schnell wie möglich zu sich bat. War seinem
Vorgänger etwas zugestoßen? Bei einem natürlichen Tod hätte Frieda Dasner
diesen ungewöhnlichen Weg zur Benachrichtigung sicher nicht gewählt. Also mußte
etwas Unvorhergesehenes passiert sein… Womöglich steckte Dasner im Zwiespalt. Er
hatte auch nach seiner Pensionierung seinen kriminalistischen Lebensstil nie
ganz aufgegeben. Es gab Hinweise darauf, daß er weiterhin Verbrecher jagte und
der Polizei anonyme Hinweise zukommen ließ. Vielleicht war er diesmal ins
Fettnäpfchen getreten und, auch als Privatmann, mal wieder zu weit gegangen.
Das Haus, in dem die Geschwister wohnten, stand nördlich an der Peripherie.
Viele Ein- und Zweifamilienhäuser waren hier im Lauf der letzten Jahre
errichtet worden. Manche waren schon über fünfundzwanzig Jahre alt. In einem
der älteren Häuser wohnten Frieda und Ernst Dasner. Das kleine, mit dunkelroten
Dachziegeln gedeckte Gebäude bestand aus Parterre und erster Etage. Um das
Grundstück lief ein Jägerzaun, dahinter wuchsen Forsythiensträucher und Wacholder.
Der Vorgarten war liebevoll gepflegt und zeigte Blumen der Saison. Neben dem
Haus wuchsen Kohlköpfe, Schnittlauch und Petersilie. In der schmalen Straße war
es an diesem Morgen verhältnismäßig ruhig. Geparkte Autos standen nur wenige in
der Gegend. Die meisten Menschen, die hier wohnten, waren zur Arbeit gefahren,
die Kinder befanden sich in der Schule.
Thönessen legte seinen
Zeigefinger auf den Klingelknopf. Der schmale Plattenweg jenseits der niedrigen
Zauntür führte zu drei Stufen, die etwa zehn Schritte entfernt lagen. Hinter
dem Fenster rechts neben der Haustür bewegte sich der Vorhang.
Für einen Augenblick wurde das Gesicht einer alten Frau sichtbar. Es verschwand
wieder, und gleich darauf wurde die Haustür geöffnet. Frieda Dasner stand
zwischen Tür und Angel und blickte dem Ankömmling entgegen. »Nett, daß Sie
gleich vorbeischauen, Thönessen«, empfing sie ihn mit ihrer resoluten, festen
Stimme.
»Wo brennt’s denn, Frau
Dasner? Macht Ernst Ihnen Schwierigkeiten, daß Sie mich zu Hilfe rufen müssen?«
Der Kommissar versuchte zu scherzen, merkte aber sofort, daß das nicht ankam.
Die Frau verzog keine Miene. Sie wirkte sehr ernst, und man sah ihr an, daß sie
dem Weinen näher war als dem Lachen. Ihre Augen waren rotumrändert. »Kommen Sie
herein«, flüsterte sie und trat zur Seite. Im Haus roch es nach Kaffee. »Ist
etwas passiert?« fragte der Besucher, als er die versteinerte Miene seiner
Gastgeberin sah. Frieda Dasner wirkte blaß.
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