0504 - Lorna, die Löwenfrau
Nicht einmal Stoppeln blieben zurück.
Die glatte Gesichtshaut mit ihrer normalen Farbe war wieder zum Vorschein gekommen. Das Haar schien zu knistern, als würde ein elektrischer Stromstoß hindurchjagen. Es blieb nicht als Mähne, war aber noch immer sehr kompakt und behielt auch die löwengelbe Farbe.
Lorna bewegte die Hände. Sie hatte die Finger gekrümmt, als wollte sie mit den Spitzen in den weichen Boden stechen und ihn aufreißen. Einige Male atmete sie röchelnd. Dieses Geräusch wurde von Schritten und dem Brechen der Zweige unterbrochen.
Suko drehte sich um.
Auch Ab Duncan hatte den Weg nach unten geschafft. Er kam zu Suko und starrte zunächst ihn, dann die Löwenfrau an, wobei er den Kopf schüttelte, weil er nichts begriff.
»Was ist denn geschehen?«
»Sie sprang!«
»Und? ist sie tot?«
»Nein!«
Der Anwalt starrte Suko ungläubig an. »Wie kann man einen Sprung aus dieser Höhe überleben?«
»Das müssen wir sie fragen.«
Lorna Delaney war wieder zu einem normalen Menschen geworden. Sie hatte Ab Duncan auch sprechen gehört. Dabei verzog sie den Mund. Es sollte wohl ein Lächeln werden, erinnerte jedoch mehr an eine Maske. »Ja, ihr habt es geschafft. Ihr habt es tatsächlich geschafft, aber ihr könnt mich so nicht töten.«
»Das wollen wir auch nicht«, sagte Suko..
»Was wollt ihr dann?«
»Wir wollten dich, Lorna! Wer bist du?«
»Das weißt du längst!«
»Ja, du bist eine Mörderin. Du hast deinen Mann auf eine furchtbare Weise getötet.«
In ihre Augen trat ein fast schwärmerischer Glanz. »Das mußte auch sein. Er wollte nicht.«
»Was wollte er nicht?«
»An ihn glauben. An den Löwenzauber, aber ich habe ihn kennengelernt. Im tiefen Afrika.«
»Durch wen?«
Suko und Duncan bekamen keine direkte Antwort. Sie hörten nur Lornas leises Lachen und die danach folgenden, fast schwärmerischen Worte. »Er ist wunderbar. Er kannte die alten Geheimnisse. Er hat sich mit dem Löwenzauber beschäftigt. Er konnte heilen, denn der Eremit im Busch hatte ihn in die besonderen Geheimnisse eingeweiht.«
»Ist es Dr. Lataresse?« fragte Suko.
»Ja!« Der schwärmerische Glanz blieb in ihren Augen. »Es ist der Doktor. Man hat ihn verkannt. Er bringt die Botschaft Afrikas nach London, seine Mystik, seine Magie. Die gesamte Kraft, die in diesem Land steckt und sich durch die Magie der Löwen ausbreitet. Alles ist so wunderbar gewesen. Wer es einmal erlebt hat, der kann es nicht vergessen. Der Löwe ist der König der Wüste. Wir alle, die wir mit dem Zauber in Berührung gekommen sind, werden zu Königen werden. So sagt es die alte Mystik.«
»Und du bist eine Königin?«
»Ich habe die Weihe bekommen. Man konnte mir nichts anhaben. Sie haben auf mich geschossen. Aber was sind Kugeln gegen die Kraft der afrikanischen Löwenmagie? Nichts. Sie sind läppisch. Ich habe es ihnen gezeigt – allen zeigte ich es. Daniel hätte mitmachen sollen, aber er wehrte sich dagegen. Er verließ sich auf die Schulmedizin, dachte daran, daß alles nur Quatsch war und zwang mich, wieder mit ihm nach England zu gehen. Doch er unterschätzte den Einfluß der Löwenmagie gewaltig. Wer sie einmal kennen- und liebengelernt hat, wird nicht mehr von ihr loskommen. Auch ich halte zu ihr.«
Es war eine lange Rede gewesen, und Ab Duncan schaute Suko fragend an. »Verstehen Sie das, Inspektor?«
»Im Prinzip schon.«
»Dann wissen Sie auch, was sie mit ihr machen werden – oder? Wie kann sie einen Sturz aus dieser Höhe überlebt haben, das will ich Sie fragen. Wie ist so etwas möglich?«
»Hat Lorna Ihnen nicht eine indirekte Antwort gegeben, Ab?«
Der Anwalt war erregt. »Das glaube ich nicht. Man kann doch nicht alles mit dieser afrikanischen Magie erklären.«
»In diesem Fall schon.«
Lorna hatte den Dialog mit angehört. Auf dem Boden liegend, begann sie zu lachen. »Ich bin so nicht zu töten, aber ihr habt mich angeschlagen, das gebe ich zu.«
»Inwiefern?«
»Komm her, Versager. Komm zu mir und hebe mich hoch. Nimm mich auf deine Arme!«
Ab begriff nicht, was das sollte. Er schaute Suko an und hob nur die Schultern.
Der Inspektor nickte. »Ich kann mir denken, was Sie damit gemeint hat. Wahrscheinlich ist es ihr nicht möglich, sich aus eigener Kraft zu erheben.«
Lorna lachte. »So ist es. Zwar kannst du mich nicht so leicht töten, aber du hast mich verwundet, verletzt. Es ist mir nicht mehr möglich, mich aus eigener Kraft zu bewegen. Deshalb, so sage ich euch, seid ihr mir etwas
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