0505 - Der japanische Geist
Sekunden wurde es ihm zu bunt. Er schellte zweimal, bekam keine Reaktion, auch beim dritten Mal nicht. Hatte Dr. Madson ihm möglicherweise nicht die Tür aufgedrückt? War es ein anderer Bewohner gewesen? Neben Suko gab es keine zweite Person, die unten an der Tür geklingelt hatte.
Da stimmte etwas nicht!
Suko war kein Einbrecher. Nur besaß er bestimmte, sehr leichte aber hochkomplizierte Werkzeuge, mit denen er auch verschlossene Türen aufbrechen konnte.
Zum Glück trug er das »Werkzeug« bei sich. Auch das Schloß würde ihm keine großen Schwierigkeiten bereiten, obwohl es schon zu den moderneren gehörte.
Er schob den flachen Gegenstand hinein, drehte ihn einige Male hin und her. Seine Finger wurden selbst zu sensiblen Werkzeugen, und er nickte, als er das Schnacken hörte.
Jetzt war die Tür offen.
Suko drückte sie nach innen. Sehr bald schon mußte er feststellen, daß sie sperrte, weil in der Wohnung wohl ein Hindernis lag, an dem er nicht vorbeikommen konnte.
Er strengte sich noch mehr an. Zum Glück war die Tür stabil gebaut, sie drückte sich auch nicht durch, und Suko konnte das Hindernis zur Seite schieben, so daß der Spalt groß genug wurde, um hindurchschlüpfen zu können.
Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als er die Gestalt auf dem Boden liegen sah.
Dr. Madson rührte sich nicht mehr. Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht im beigem Teppichboden vergraben. Die Beine waren leicht angezogen, die Arme ebenfalls angewinkelt und eine Wunde oder Blut war auf seinem Körper nicht zu erkennen.
Vor dem regungslosen Dr. Madson kniete Suko nieder. Bevor er ihn herumdrehte, schaute er über die Schulter hinweg in die Diele, ob dort irgend jemand lauerte. Das war nicht der Fall. Trotzdem war Suko sehr vorsichtig und kantete den Leblosen herum.
Als Dr. Madson auf dem Rücken lag und Suko in seine gebrochen wirkenden Augen schaute, wußte er, daß diesem Mann niemand mehr helfen konnte. Er stand vor einem höheren Richter.
Der Mund war aufgerissen, das Gesicht eine Maske der Qual und des Entsetzens.
Im Mund bewegte sich etwas.
Suko zuckte zurück, denn im gleichen Moment hörte er das Zischen und bekam mit, wie etwas Grünes, Langes, Nebelhaftes aus dem offenen Mund ins Freie schoß.
Der japanische Geist!
***
Ich hätte mich selbst irgendwo hintreten oder mich ohrfeigen können, aber mir ging es verdammt mies. Es hatte mich erwischt und einfach umgehauen, daran war nichts zu ändern gewesen.
Schon am letzten Abend hatte ich mich unwohl gefühlt, hatte geschwitzt und gleichzeitig gefroren, war dann ins Bett gegangen, hatte tief geschlafen und mich am Morgen noch immer matt gefühlt.
An einen Vormittag im Büro war nicht zu denken gewesen, nicht einmal an den noch so gesunden Büroschlaf.
Deshalb blieb ich zu Hause und ruhte mich zunächst einmal aus.
Viel brachte es auch nicht. Gegen Mittag allerdings ging es mir wieder etwas besser.
Ich stand sogar auf. Auch wenn die Knie noch weich waren, machte ich meine Runde durch die Wohnung, sah das Telefon im Wohnzimmer und kam natürlich auf die Idee, im Büro anzurufen.
Dort meldeten sich weder Suko noch Glenda. Möglicherweise waren beide in die Pause gegangen, die ich ihnen gönnte. Ich selbst hatte keinen Appetit.
Milch trank ich und setzte mich dabei in die Küche. Das Gefühl der Mattheit ließ sich nicht verscheuchen. So blieb nichts anderes übrig, als mich ins Bett zu legen.
Dort schlief ich sehr schnell ein.
Was mich geweckt hatte, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls war ich plötzlich hellwach, blieb aber liegen, starrte gegen die Decke und horchte in mich hinein.
Ich vernahm Schritte…
Einbrecher?
Wenn ja, würde er sich wundern, denn bei mir gab es nichts zu holen. – Jemand öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür. Ich wollte gerade die Beretta aus dem Nachttisch ziehen, da gab sich der »Einbrecher« zu erkennen. Es war mein Freund Suko!
»Was schleichst du denn hier durch die Wohnung wie ein Dieb?« begrüßte ich ihn.
»Ah, es geht dir wieder besser.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das höre ich dir doch an.«
»Tatsächlich?«
»Sicher.«
»Dann komm rein«, sagte ich.
Suko schloß die Tür und setzte sich auf die Bettkante. »Ich komme gerade vom Dienst. Wie fühlst du dich?«
»Ja, wie fühle ich mich?« Ich setzte mich hin, es war kaum noch ein Schwindel vorhanden, auch das matte Gefühl und die Lustlosigkeit hatten nachgelassen. Kein Vergleich mehr zu meinem Zustand am Vormittag.
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