0505 - Der japanische Geist
»Irgendwie nicht übel.«
»Aber noch nicht top?«
»Nein.«
Er nickte. »Ich werde heute abend noch einen Besuch machen, John. Bei einem Dr. Madson.«
»Müßte ich den kennen?«
»Glaube ich nicht. Ich habe ihn auch erst am Vormittag kennengelernt.«
»Worum ging es?«
Suko reichte mir einen Schrieb. Ich erkannte sofort, was los war.
»Das ist doch Shaos Handschrift.«
»Genau.«
»Der japanische Geist«, murmelte ich. »Was ist mit ihm? Was hast du herausgefunden?«
»Ich kenne ihn nicht, aber Dr. Madson kann mir möglicherweise helfen. Da es dir bessergeht, möchte ich dich informieren.«
So bekam ich die Geschichte zu hören und bestärkte Suko noch in dem Entschluß, dem jungen Arzt auf jeden Fall einen Besuch abzustatten. »Diese Chance darfst du dir nicht entgehen lassen.«
»Kann es auch der Weg zu Shao sein?«
»Das hoffe ich.«
Suko stand auf und steckte den Zettel ein. »Ja, ich hoffe es auch.«
Er schaute auf die Uhr. »Ich muß jetzt fahren, John.«
»Sag mir mal die Adresse.«
Suko schrieb sie mir auf. »Wenn ich zurückkomme, erstatte ich dir Bericht.«
»Okay.«
»Und wie ist es mit dir? Bist du morgen früh wieder auf den Beinen?«
»Das bin ich jetzt.«
Suko winkte ab, als ich mich aus dem Bett schwang. »Nun mal langsam, mein Freund.«
»Ja, ja, schon gut.«
Er ging, ich saß auf der Bettkante und hörte darauf, wie die Wohnungstür ins Schloß fiel.
Noch etwas anderes verspürte ich. Es kam irgendwie gewaltig über mich.
Hunger!
Wenn ein Mensch Hunger hat, ist das ein gutes Zeichen.
Allerdings wußte ich noch nicht genau, was ich essen wollte. Ich entschied mich dafür, etwas Kräftiges in die Pfanne zu schlagen: Eier mit Schinken. Als Getränk wählte ich Orangensaft, der noch nach Apfelsinen schmeckte.
Das Rührei war nicht zu fest geworden, dafür hatte ich den Schinken cross gebraten. Ich gehörte nicht zu den Leuten, die im Schlafanzug essen. Umgezogen hatte ich mich schon und auch das Fenster geöffnet, um frische Luft hereinzulassen.
Eier, Schinken und Orangensaft waren Kraftspender. Während des Essens mußte ich stets über Sukos Fall nachdenken und natürlich über die Warnung, die ihm seine verschollene Partnerin Shao hatte zukommen lassen.
Dieser japanische Geist mußte etwas ganz Besonderes sein. Ein Monstrum, ein Gespenst, ein feinstoffliches Wesen, ein Atemräuber, denn nicht ohne Grund war der Sumo-Ringer gestorben. Wahrscheinlich steckten der andere Ringer und der Geist unter einer Decke.
Hoffentlich hatte Suko bei seinem Besuch Glück und erfuhr mehr über den Fall.
Ich ließ es mir auch weiterhin schmecken, bis zu dem Zeitpunkt, als jemand auf den Klingelknopf drückte.
Wer konnte das sein?
Ich stand etwas zu schnell auf, und prompt wurde mir schwindelig.
Zuerst schaute ich durch den Spion und in das Gesicht eines Japaners. Der Mann stand vor der Tür, er mußte wohl gespürt haben, daß ich ihn beobachtete, denn er senkte den Kopf zur Begrüßung.
Was wollte er?
Ich hatte den Mann nie gesehen, zog die Tür spaltbreit auf und hörte seine Stimme: »Darf ich Sie für einige Minuten stören, Mr. Sinclair?«
»Wenn es sein muß…«
»Es dauert wirklich nicht lange.«
»Bitte.«
»Mein Name ist übrigens Igeno«, stellte er sich vor und betrat die Diele. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd. Sein Haar war korrekt gescheitelt, das Lächeln ein wenig unergründlich.
Ich bat ihn in den Wohnraum, wo auch mein Essen stand, vielmehr die Reste davon.
»Oh, das tut mir leid«, sagte der Japaner. »Ich wollte Sie nicht beim Essen stören.«
»Das haben Sie auch nicht. Ich war gerade fertig. Nehmen Sie doch Platz, Mr. Igeno.«
Wieder bedankte er sich und ließ sich dann nieder. Er war etwas zu klein für den Sessel. Seine Augen besaßen einen klaren, scharfen Blick. Ich beschloß, diese Person auf keinen Fall zu unterschätzen.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Mr. Igeno?«
»Nun ja, es ist etwas schwierig. Ich weiß, daß Sie vorhin Besuch gehabt haben.«
»Sie sprechen von meinem Kollegen Suko?«
»So ist es.«
»Was hat er mit ihrem Besuch zu tun?«
»Um ihn geht es eigentlich. Wissen Sie, Mr. Sinclair, man hat Ihren Freund da auf eine Spur gebracht, die für ihn nicht gut enden kann. Ich möchte es mal so formulieren. Sie verstehen mich sicherlich.«
»Verstehen ja, aber ich begreife nicht, was Sie bezwecken.«
Er nickte betrübt. »Ja, es ist schon schwierig, wenn man sich in einem fremden Land und dazu in einem noch
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