0505 - Der japanische Geist
und wurde zu einem gewaltigen Gebilde, das Sukos gesamtes Blickfeld einnahm.
Er reichte fast bis zur Decke, pumpte sich immer weiter auf und nahm die Gestalt an, die der eines Riesen glich. Der Kopf war nur mehr eine riesige glatte Kugel. An der Stirn, wo die Haut ebenfalls faltenlos glatt lag, leuchtete in einem kalten, höllischen Rot das eine Auge dieses monströsen Riesengeistes.
Er war ein Zyklop!
Über diese Monstren war viel geschrieben worden. In alttestamentarischer Zeit opferten die Völker des Orients dem Zyklopen ihre Erstgeborenen, um ihn zu beruhigen, dieser hier holte sich seine Opfer auf andere Art und Weise, in dem er ihnen den Atem nahm und sie somit erstickte.
Suko kam sich vor wie eine Maus, die den Elefanten erschrecken sollte. Sein Gegner war riesig, ein unheimliches Wesen, von dem Suko nicht einmal wußte, ob es feinstofflich war oder nicht.
Der japanische Geist senkte seinen kahlen Schädel. Er wollte mit dem einen Auge Suko fixieren. Möglicherweise schlugen auch Flammen hervor, der Inspektor wußte es nicht. Er wollte sich seine Todesart auch nicht aussuchen oder darüber spekulieren, für ihn kam es darauf an, schneller zu sein als der Geist.
Gewaltige Arme breiteten sich aus. Sie wirkten auf Suko wie grüne Klammern.
Er ging ein paar Schritte zurück. Im Rücken spürte er den Druck der Seile, sie gaben ihm ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Sein Blick blieb auf dem Gesicht des Geistes haften. Besonders das eine Auge interessierte ihn.
War das die Schwachstelle des Geistes?
Bei vielen Zyklopen war es der Fall, aber Sukos Überlegungen wurden gestoppt, denn urplötzlich befand sich eine mächtige Pranke in seiner Nähe.
Ausweichen konnte er nicht mehr, die Hand war einfach zu schnell gewesen.
Sie umklammerte den nicht gerade schmalen Körper des Inspektors, als wäre er nur mehr ein Strohhalm. Im nächsten Augenblick verlor Suko den Boden unter den Füßen, weil ihn die Pranke blitzschnell in die Höhe riß und sehr nahe vor das Gesicht brachte.
Das wäre für Suko die Chance gewesen, nur war sein rechter Arm ebenfalls eingeklemmt, so daß es ihm beim besten Willen nicht gelang, die Peitsche zu bewegen.
Der Zyklop lachte. Dabei öffnete er sein Maul. Suko schaute in einen gewaltigen, düsteren Rachen hinein, in dessen Hintergrund sich nebelhafte Schleier bewegten und wo sich schwach der Rachen wie ein Eingang zur Hölle abzeichnete.
Wollte der Geist ihn verschlucken?
Der Inspektor kämpfte. Er spannte seine Muskeln an, so gut es ging, aber er kam gegen die Kräfte des Geistes nicht an, obwohl ihn dieser nur mit einer Hand umklammerte.
Die zweite, die linke, brauchte er nämlich.
Suko kam sich auf einmal vor wie auf einer Achterbahn, so heftig bewegte sich der Geist. Er beugte seinen Körper hinab, den Arm ebenfalls, und eine gewaltige Hand suchte nach dem zweiten Opfer…
***
Shao und ich waren geschockt. So hätten wir uns die Szenerie nicht vorgestellt.
Die Chinesin fand als erste die Sprache wieder. »Ich habe es gewußt und auch geahnt. Beides, John, beides.« Sie sprach gepreßt.
»Er ist so groß wie in der Legende.«
»Ja!« keuchte ich, »und er hat Suko!«
Genau das war das Problem. Der japanische Geist hatte es geschafft und hielt Suko mit seiner rechten Pranke umklammert. Er hatte sie hochgerissen, so daß mein Freund und Shaos Partner dicht vor seinem Gesicht schwebte, wo sich jetzt ein gewaltiges Maul öffnete.
Mein Seitenblick galt Shao. Ich wollte ihre Reaktion sehen, jetzt wo sie Suko in Gefahr wußte.
Ihre Mundwinkel zuckten. Von der oberen Gesichtshälfte war durch die Maske nicht viel zu erkennen. Vielleicht schimmerten sogar Tränen in ihren Augen.
»Wie holen wir ihn raus?« fragte sie krächzend.
»Ich kann den Bumerang nicht schleudern«, flüsterte ich. »Er könnte Suko erwischen.«
»Ich weiß.« Shao griff nach hinten und holte einen Pfeil aus dem Köcher. Sie legte ihn in die Bolzenrinne, spannte die Sehne und tastete bereits nach dem Drücker.
»Bist du sicher, daß du ihn erwischen kannst?«
»Ich muß das Auge treffen!« flüsterte sie.
»Und über Suko hinwegschießen?«
»Ja, das ist günstig.« Sie ging etwas zur Seite und verschwand fast aus meinem Blickfeld.
Ich rechnete mit diesem Schuß, konzentrierte mich darauf und fiel dabei selbst rein. Mit der wilden Bewegung des Geistes hatte ich nicht gerechnet. Als ich sie sah, da war es für mich bereits zu spät.
Er hatte sich gebückt. Sein Arm schien durch einen
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