0505 - Der japanische Geist
tat sie auch.
Die einzige Möglichkeit, die sich ihr bot, um den Zyklopen zu vernichten, war der glatte Schuß in sein verfluchtes Höllenauge. Einmal hatte sie gefehlt, ein zweites Mal durfte ihr das nicht passieren.
Die Zeit drängte.
Längst hatte sie wieder einen neuen Pfeil in die Bolzenrinne gelegt. Die Armbrust war gespannt. Der Geist achtete weder auf sie noch auf Suko, er war viel zu sehr mit John Sinclair beschäftigt, der auf seiner Unterlippe stand, sich an der oberen festklammerte und erleben mußte, wie der Geist versuchte, ihn in seinen tötenden Rachen hineinzuzerren. Noch konnte sich der Geisterjäger halten. Für Shao war es nur mehr eine Frage von Sekunden, wann Sinclair starb.
Obwohl sie sich beeilen mußte, ließ sie sich Zeit. Dieser Pfeil mußte einfach treffen. Nur nicht überhastet reagieren, dann wäre alles verloren gewesen.
Ein letztes Mal korrigierte sie die Zielrichtung um eine Winzigkeit.
Sie sah, wie sich Johns Beine lösten und schon in das offene Maul hineingerissen wurden. Noch hielt er sich mit den Händen an der Oberlippe fest.
Da schoß sie!
Sie spürte kaum den Ruck, biß sich selbst auf die Lippe, suchte den Pfeil und sah ihn.
Er saß im Ziel – im Auge!
Aber reichte das?
***
Ich gab für mein Leben keinen Penny mehr, der Druck war einfach zu stark geworden. Die Beine schleuderten noch höher, so daß ich schon fast eine waagerechte Haltung angenommen hatte, doch ich hielt mich mit letzter Kraft fest.
Wohl noch nie waren Suko und ich gemeinsam so hilflos gewesen.
Ich hörte ihn weiterhin sprechen und auch, daß er seine Stimme noch mehr anhob.
»Der Pfeil, John – er sitzt!«
Ich begriff zunächst nicht, was er damit gemeint hatte, das aber wurde mir sehr schnell klar.
Der Sog verschwand von einem Moment zum anderen. Meine Beine kippten wieder zurück, ich konnte auf der Unterlippe Halt finden, auch wenn ich im rechten Oberschenkel den beißenden Schmerz fühlte. Der Geist hatte mich aus seinen Pranken entlassen, und auch bei Suko lockerte er den Griff, während durch seine gewaltige Gestalt ein wahnsinniges Schütteln fuhr, so daß wir uns nicht mehr halten konnten.
Ich kippte.
Auch der Geist fiel.
Ich kam mir vor wie ein Fallschirmspringer ohne Schirm. Angst durchraste mich, ich dachte an zerschmetterte Knochen, schlug um mich und bekam tatsächlich etwas zwischen die Finger, woran ich mich festhalten konnte, bis zum Aufschlag.
Durch den massigen Körper des Geistes wurde er zwar gedämpft, trotzdem spürte ich den Druck noch in meinem Schädel, als wollte dieser im nächsten Moment auseinanderfliegen.
Daß ich schrie, hörte ich mehr im Unterbewußtsein und erkannte meine eigene Stimme auch kaum wieder.
Ich lag auf dem Rücken, wälzte mich zur Seite und spürte zwei Hände, die nach mir griffen. Über mir erkannte ich verschwommen das Gesicht meines Freundes Suko.
»Du mußt weg, John!«
Er zerrte mich weiter. Ich kam zwar auf die Beine, hatte aber Mühe, mit dem rechten aufzutreten. Bei jedem Druck des Fußes gegen den Boden wühlte sich der stechende Schmerz hoch bis in die Hüfte.
Suko schleifte mich wie ein kleines Kind aus der Gefahrenzone. Irgendwo in der Nähe des Rings kamen wir zur Ruhe. Endlich konnte ich sehen, was geschehen war.
Der japanische Geist, dieser mörderische Gegner, lag auf dem Rücken. Und wir waren auf ihn gefallen. Er hatte praktisch einen Großteil der Aufprallwucht geschluckt. Deshalb war uns auch nicht so viel passiert.
Aus seinem Auge ragte etwas hervor.
Ein Schaft, nicht sehr lang, denn der Pfeil war tief in die Masse hineingedrungen und hatte ihn tatsächlich tödlich erwischt. Denn andere Kräfte bemächtigten sich seiner und begannen damit, ihn restlos zu zerstören.
Das dämonische Lebens- und Nervenzentrum war durch diesen gezielten Schuß zerstört worden. Der japanische Geist verging.
Noch röhrte er. Aus dem Maul drangen nicht nur dicke Dampfschwaden, auch gewaltige Schreie, die durch die Halle gellten wie akustische Todesboten.
»Grünes Feuer«, flüsterte Suko. »Ich habe das grüne Feuer gesehen, und ich sah einen anderen.«
»Den Samurai?«
»Ja.«
Shao kam zu uns. Als Suko sie sah, erstarrte er. Auch sie stoppte ihren Lauf. Plötzlich gab es nichts mehr als nur die beiden. Sie wurden von Erinnerungen bestürmt, und es war wie ein Orkan. Ich erkannte es auf ihren Gesichtern. Dort drückten sich Freude, Schmerz und das Wissen um eine erneute Trennung aus.
Für etwas anderes hatten die beiden
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