0506 - Das unheimliche Grab
umblickend.
Sie hatte nichts bemerkt. Allein die üblichen nächtlichen Geräusche umgaben sie, während Will und ich uns nicht einmal zu atmen trauten. Wir blieben völlig ruhig.
Erst als sich die alte Frau niederkniete, stießen wir flach die angehaltene Luft aus. Will drehte etwas den Kopf. Er nickte mir zu, wobei ein knappes Lächeln über sein Gesicht glitt.
Ich legte den Finger auf die Lippen. Beide konnten wir nicht erkennen, was die Frau tat, sie drehte uns den Rücken zu. Daß etwas geschehen war, hörten wir an den kratzenden Geräuschen, die entstanden, wenn Stein über Stein glitt.
Das Grab öffnete sich…
Die obere Platte hatte sich bewegt. Sie war zur Seite geschwungen, und Galinka Bachmann konnte in die Tiefe schauen.
Was hielt sich dort verborgen? Wir wären bestimmt nicht überrascht gewesen, wäre plötzlich das Skelett aus dem Grab geklettert, um seine mörderische Sense zu schwingen.
Das geschah nicht.
Es passierte überhaupt nicht viel. Nur Galinka Bachmann richtete sich auf, um sich in der stehenden Haltung nach vorn zu beugen.
Ihre Handflächen preßte sie dabei gegen die Oberschenkel.
Dann sprach sie in das Grab hinein. Ihre Worte elektrisierten uns beide. »Hallo, Dimitrou! Hörst du mich? Ich bin gekommen. Dein Ende steht bevor…«
***
Er hatte sich mühsam hochgestemmt, als die kratzenden Geräusche aufklangen. Mit beiden Händen mußte er sich an der Wand abstemmen, weil er einfach zu schwach war.
Keine Sonne schien vom Himmel, die den viereckigen Ausschnitt scharf und klar nachzeichnete. Er bildete nur mehr ein graues Viereck, an dessen Längsseite die einsame Gestalt der Galinka Bachmann stand und in das Grab hineinschaute.
Er hatte die makabren Begrüßungsworte genau vernommen und nicht darauf reagiert. Mit flackernden, unsicheren Blicken suchte er die Stellen rechts und links der alten Frau ab, wo eigentlich das Skelett stehen mußte.
Es war nicht da!
Galinka kicherte. »Du suchst Rusko, nicht wahr? Keine Sorge, er ist in der Nähe. Aber zuvor will ich dir etwas anderes zeigen, mein Freund.« Sie griff in die Falten ihres schmutzigen Rocks, wo sich eine verborgene Tasche befand. Aus ihr holte sie die kleine Flasche hervor und hielt sie so, daß der Rumäne sie sehen konnte. »Habe ich dir nicht von der Höllensalbe erzählt?« fragte sie leise. »Ja, ich bin mir sicher. Und diese Salbe habe ich mitgebracht. Ich werde dich damit einreiben und zuschauen, wie dir das Fleisch von den Knochen fällt.«
»Du… du … bist des Teufels!« Galinka kicherte nach diesen Worten. »Und ob ich des Teufels bin. Darauf bin ich auch stolz.«
»Geh weg, du… geh und …«
»Nein, ich werde nicht gehen. Ich sage ihm jetzt Bescheid. Rusko wird kommen. Er hat seine Sense schon geschärft. Auch in der heutigen Zeit wird der Mörder-Mönch seinem Namen alle Ehre machen, das schwöre ich dir, Dimitrou. Jetzt hole ich ihn!« Sie drehte sich um – und erstarrte! Nicht Rusko, der Mörder-Mönch, stand vor ihr, sondern zwei Männer…
***
Das waren Will Mallmann und ich. Wir hatten es geschafft, unsere Deckung lautlos zu verlassen und wirkten in der Dunkelheit wie zwei zu Stein erstarrte Schatten, weil wir nicht einmal den kleinen Finger bewegten und nur die Frau anblickten.
Sie wußte nicht, wie sie reagieren sollte. Noch immer blieb sie steif stehen. Dann zuckte es in ihrem Gesicht, der Mund öffnete sich spaltbreit, sie wollte etwas sagen, doch ein schweres Atmen dräng über ihre Lippen.
»Also doch«, sagte ich. »Sie haben Dimitrou entführt. Und Sie wollten ihn töten lassen.«
»Ja, das will ich!« keifte sie. »Alle, die mir im Wege stehen, werden ebenfalls getötet.«
»Durch Rusko?«.
Sie nickte heftig. »Er ist es, auf den ich mich verlassen kann. Seine Sense ist scharf, sie wird…«
»Weshalb?« fragte Will zwischen. »Weshalb all das Grauen, mit dem unschuldige Menschen konfrontiert werden?«
Wir hörten sie scharf einatmen. »Es ist ein alter Fluch, eine alte Rache, die befriedigt werden muß. In Rumänien hat sie begonnen. Dort lebte Rusko als Mönch. Aber er betrieb heimliche Studien der Schwarzen Magie. Er betete sehr bald einen anderen an, und er wollte die Mauern des Klosters zu einem Hort des Teufels machen. Man kam ihm auf die Schliche, er mußte fliehen. Die Mönche gaben sich selbst einen Teil der Schuld. Sie steckten das Kloster in Brand und sorgten auch dafür, daß sie selbst dabei umkamen. Rusko aber war vorher geflohen und hatte sich einer
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