051 - Die gelbe Schlange
ich bin heute abend zu beschäftigt. Aber ich werde ihn gewiß eines Tages umbringen«, versicherte er. Das klang zwar scherzhaft, aber Joan konnte sich eines Schauders nicht erwehren, da Clifford auf sie den Eindruck eines Mannes machte, der in tiefem Ernst sprach. »Ich muß ihn töten. Aber heute abend?« Er schüttelte den Kopf. »Vorher wird noch einiges geschehen. Wann können wir heiraten?«
Er war ganz ernst, und bei dieser direkten Frage fühlte sie selbst, daß sie rot wurde.
»Muß es denn so schnell sein?« fragte Joan ein wenig verstört. Einen Augenblick geriet sie außer Fassung. Seine Frage hätte sie überaus glücklich gemacht, wenn sie nicht so nüchtern geklungen hätte. Alles schien so geschäftsmäßig, war zu fern jener Atmosphäre von Zärtlichkeit, in der man gewöhnlich seine Werbung vorbringt, und Joan war wirklich verletzt. Das brachte den Antrag wieder zu seiner sachlichen Ausgangslage zurück und ließ den zarten Schimmer von Romantik, den die vergangenen Tage ihr geschenkt hatten, verfliegen.
»Ich nehme an, Sie werden das so einrichten, wie es Ihnen am bequemsten ist«, versetzte sie kühl. »Ihnen ist natürlich klar, daß ich Sie ebensowenig liebe wie Sie mich?«
»Darüber wollen wir nicht streiten«, erwiderte er ruhig. »Doch ich will Ihnen etwas sagen: Ich habe noch niemals wirklich geliebt; aber ich hatte meine Träume - und Sie kommen meinem Ideal weitaus am nächsten. Wenn ich sage, daß ich Sie gern habe, so meine ich das auch. Ich bin nicht so außer mir, daß ich den Boden küssen möchte, auf dem Sie gehen, aber das ist eine Form der Verrücktheit, die vielleicht später noch eintritt!«
Er sprach mit soviel Herzlichkeit, daß Joans Kälte dahinschmolz.
»Heute ist Montag«, überlegte er, »wir werden am Freitag mit Sonderlizenz heiraten. Freitag wird für jemand ein Unglückstag sein.«
»Sie meinen wirklich diesen Freitag?« rief Joan bestürzt aus.
»Es ist ziemlich plötzlich, ich weiß; aber die Dinge entwickeln sich schneller, als ich erwartet habe«, erklärte er.
Er nahm seinen Hut: »Ich werde Sie um zehn Uhr erwarten. Ist es Ihnen recht?«
Joan war einverstanden.
»Und Sie haben keine Angst?« fragte er neckend, fügte aber schnell hinzu: »Es ist wirklich kein Grund vorhanden, sich zu fürchten - jedenfalls jetzt noch nicht.«
»Dann sagen Sie mir Bescheid, wann ich anfangen muß, mich zu ängstigen«, ersuchte sie ihn, als sie Clifford zur Tür begleitete.
»Vor mir brauchen Sie nie Angst zu haben«, sagte er ruhig, »ich habe an jemand anders gedacht.«
»An Fing Su?«
Er warf ihr einen raschen Blick zu.
»Gedankenleserin sind Sie auch, wie?« Clifford legte seine Hand auf ihren Arm und drückte ihn zärtlich. Das war eine so freundliche, beschützende Geste, daß ihr fast die Tränen kamen.
Kaum hatte sich die Tür hinter Clifford geschlossen, tauchten die beiden Schwestern auf und folgten Joan in das Wohnzimmer.
»Du hast ihm doch nichts gesagt?« fragte Mabel hastig. »So heimtückisch kannst du doch nicht sein, Joan!«
Joan schaute sie überrascht an.
»Was soll ich ihm nicht gesagt haben?« erkundigte sie sich, und ihr Erstaunen war nicht gespielt, denn sie hatte die Unterhaltung in ihrem Zimmer gänzlich vergessen und wußte nicht, was Mabel meinte.
»Letty hatte das schreckliche Gefühl, daß du ihm erzählt hast, was wir besprochen haben, aber ich sagte, ›Letty, Joan würde niemals so schändlich handeln!‹«
»Ach, ihr meint, über eure Heirat mit Clifford?« Joan hatte jetzt verstanden. »Aber nein, das hatte ich ganz vergessen - wir waren so damit beschäftigt, das Datum festzusetzen: Mr. Lynne und ich werden am Freitag heiraten.«
»Guter Gott!« hauchte Mabel.
Dieser Seufzer war begreiflich, denn in einem Augenblick großer Selbstlosigkeit hatte Mabel beschlossen, sich zu opfern und Mrs. Clifford Lynne zu werden.
17
Die Schwestern fuhren um sechs Uhr in die Stadt, und Joan war herzlich froh, als sie von ihrem Fenster aus die Limousine die Egham Road hinunterrollen sah. Sie aß allein zu Abend und wartete ungeduldig auf die Ankunft Clifford Lynnes. Sie war ihm gegenüber noch immer unsicher. Die Heirat hatte trotz allem den Anschein einer geschäftlichen Vereinbarung; mit Ausnahme der kleinen Liebkosung hatte er weder Zärtlichkeit noch jene Aufmerksamkeit für ihren Charme gezeigt, die man sogar von Männern mit großer Selbstbeherrschung erwarten kann. Und doch war er weder hart noch kalt, dessen war sie ganz sicher.
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