051 - In den Katakomben des Wahnsinns
lange. Wir sind befreundet.«
Sie lehnte sich an seine Schulter. »Joan und ich – wir sehen uns selten.
Das kam durch die räumliche Trennung. Aber wir mochten uns immer. Wir haben uns
eigentlich nichts verschwiegen.«
Er ging auf ihre letzte Bemerkung nicht ein. »Warum hast du mich und nicht
die Polizei verständigt?«
Sie seufzte und streichelte seinen Nacken. »Erstens würde man mich dort
doch nicht ernst nehmen. Schließlich ist Joan eine erwachsene Person und kann
machen, was sie will. Eine Vermisstenanzeige aufzugeben, dazu wäre es zu früh.
Zweitens war die Tatsache, dass Joan ihr Versprechen nicht hielt für mich ein
Grund, mich wieder mal mit dir in Verbindung zu setzen.« Sie sah sich um. Ihre
Augen schimmerten geheimnisvoll. »Ich habe lange deine Wohnung nicht gesehen –
und ich habe dich lange nicht im Scotch
Horse gesehen.«
Ehe er etwas darauf erwidern konnte, fühlte er ihre feuchten, heißen Lippen
auf seinem Mund. Er erwiderte lange ihren Kuss, dann löste er sich langsam von
ihr. »Du verstehst die Dinge falsch, Jeanne«, sagte er leise. »Mein Beruf – er
frisst mich auf. Früher konnte ich stundenlang im Scotch Horse sitzen – heute ist das etwas anderes. Aber von diesen
Dingen wollen wir nicht reden. Du weißt, dass ich bisher sehr beständig mein
Junggesellendasein verteidigt habe. Ich gedenke, das auch weiterhin zu tun. Ich
muss feststellen, dass du deiner Schwester nicht nur täuschend ähnlich siehst,
sondern offenbar auch eine ähnliche Geisteshaltung hast. Sagtest du vorhin
nicht, dass Joan ein Auge auf Dr. Fond geworfen hätte? Vielleicht hat ihn das
gestört, und er wollte ihr einen Denkzettel verpassen. Vielleicht hat er sie in
eine Gummizelle gesperrt, um sie zur Vernunft zu bringen – es ist nicht immer
gut, wenn Frauen hinter Männern her sind.«
»Im Zeitalter der Emanzipation haben wir alle die gleichen Rechte und
Pflichten. Wenn einer Frau ein bestimmter Mann gefällt, dann kann sie ihm
meiner Meinung nach ebenso nachsteigen, wie das ein Mann tut, wenn er wild nach
einem Mädchen ist, nicht wahr?«
Sie warf ihm einen feurigen Blick zu. Ihre dunklen, großen Augen konnten
immer so viel ausdrücken, dass er stets darauf hereingefallen war.
Jeanne ging zu dem langen, breiten Fenster und ließ das Plastikrollo
herunter. »Es ist zu warm hier drin. Die Sonne ist zu heiß heute. Ich finde, du
solltest dir eine andere Wohnung suchen. Wie wär's, wenn du dir einen Bungalow
pachten würdest?«
Die eigenartige geruhsame und entspannte Atmosphäre war von der knisternden
Sexausstrahlung dieser ungewöhnlichen Frau förmlich geladen. Er sagte nichts.
Jeanne mixte wortlos zwei Gin-Fizz, gab ordentlich Eiswürfel dazu und reichte
ihm das lange Glas.
»Cheerio«, sagte sie mit ihrer dunklen Stimme. »Auf deinen Erfolg!«
»Ich werde die Sache weiterverfolgen«, entgegnete er. »Vielleicht hast du
recht, vielleicht steckt mehr dahinter, als wir jetzt noch glauben.«
»Ich habe ein recht seltsames Gefühl, wenn ich an Henry Fond denke,
Stuart.« Sie nahm ihn beim Arm, und sie setzten sich gemeinsam auf die breite,
weiche Couch. »Ich habe ihn nur einmal gesehen. Und das auf einem Bild, das mir
Joan von ihm zeigte. Die Augen dieses Mannes gefallen mir nicht.«
Er nickte. »Mir erging es ebenso, als ich ihm vorhin gegenüberstand. Er ist
so unpersönlich – es ist, als ob er – ein anderer wäre. Er strahlt eine derartige Kälte aus, dass man das Gefühl hat, es
würde kein Blut durch seine Adern strömen.«
White nahm einen kräftigen Schluck.
»Ich habe nicht mehr viel Zeit, Stuart. Ich muss ins Horse zurück. Der Abend wird anstrengend. Der Manager des Clubs hat
durchblicken lassen, dass ein Teil der Gruppe vor Mitternacht auf das Hausboot
zu Jackie the Ripper geschickt wird. Dort soll heute Abend eine Party
stattfinden. Jackie will seinen Gästen als Attraktion eine Strip-Nummer bieten.
Niemand weiß davon. Ich habe vor, noch ein paar Stunden zu schlafen.«
Sie stellte ihr Glas auf einen flachen Tisch und rückte näher an White
heran. Er fühlte ihre festen Schenkel, die sich gegen seine Beine drückten.
»Mir scheint, du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, du erinnerst mich
an Dr. Fond. Vielleicht strömt durch deine Adern auch kein Blut – sondern
Limonade? Hm, Casanova?«
Er näherte sein Gesicht dem ihren. Die Nähe Jeannes verwirrte ihn, ihr
betörendes Parfüm, ihr Körper ... aber da war noch etwas anderes, was einfach
verhinderte, dass er seine Sinne
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