0510 - Der Leichenzug
meine Gelenke nicht so hart, als daß ich die Hände nicht hätte bewegen können. Es gelang mir, die rechte Hand so zu drehen und die Finger dermaßen zu biegen, daß ihre Spitzen den Griff des Messers berührten und ich sehr vorsichtig die Klinge zu mir heranziehen konnte.
Es war eine Arbeit für Nervenstarke. Nichts durfte mich jetzt ablenken. Wenn das Messer jetzt verrutschte und ich es durch eine unüberlegte Bewegung zur Seite druckte, konnte ich hier vermodern, falls man mich nicht zuvor fand.
Aber ich schaffte es!
Mit Daumen und Zeigefinger gelang es mir, den Griff an seinem oberen Rand zu umklammern. Jetzt konnte ich die Klinge sogar zu mir heranziehen.
Die nächsten Minuten vergingen in schweißtreibender Arbeit.
Mein Gelenk war beweglich. Es mußte mir nur gelingen, die Klinge so zu kanten, daß ich sie zwischen den Strick und die Haut schieben konnte. Eine wunderbare Sache, wenn es der Held im Kino machte.
Ich aber bekam große Schwierigkeiten. Das Messer rutschte ein paarmal ab, dann lag es wieder neben meiner Hand, ich mußte es erneut aufheben, dachte auch an Aufgabe, weil es einfach nicht klappen wollte, pausierte zwischendurch, um das Zittern unter Kontrolle bringen zu können, und schaffte es praktisch in dem Augenblick, als ich schon nicht mehr damit gerechnet hatte.
Mein Hals war steif geworden, weil ich den Kopf so verdreht gelegt hatte. Die Muskelstränge schmerzten. Blut verlor ich nicht mehr. Die Wunden an den beiden Armen waren verkrustet. Mein Atem ging keuchend. Der Mund war trocken wie ein Wüstenflecken. Ich verspürte einen wahnsinnigen Durst und wartete noch, um mein Nervenkostüm besser unter Kontrolle zu bekommen.
Die Klinge klemmte schräg zwischen Haut und Fessel. Kesko hatte sich auf ein sehr scharfes Messer verlassen, ein Vorteil für mich.
Dennoch war ich sehr vorsichtig und rieb die Klinge behutsam an der straff gespannten Fessel, die mit dem im Boden steckenden Pflock verbunden war.
Klappte es?
Bei den ersten behutsamen Bewegungen war noch nichts zu erkennen. Die Klinge zupfte an der Fessel, ich war auch sehr nervös und befürchtete schon, daß alles schief gehen würde bei dieser unnatürlichen Lage.
Blut schwitzte ich zwar nicht, dafür Wasser. Es rann mir in die Augen, die sofort anfingen zu brennen.
Dann schnitt ich mir ins Fleisch. Zum erstenmal merkte ich tatsächlich, wie scharf die Klinge war. Blut rann aus der Wunde, meine Finger bekamen fast einen Krampf. Mit äußerster Mühe und Konzentration hielt ich den Griff noch fest, bewegte die Hand, und der Strick fuhr an der scharfen Klinge entlang.
Fasern lösten sich. Sie platzten regelrecht weg. Die Fessel verlor einiges von ihrer Straffheit, ich machte verbissen weiter, bewegte jetzt auch die Hand und schaffte es.
Der Strick riß.
Er platzte auseinander. Die einzelnen Stücke fielen zur Seite, ich atmete auf und hätte vor Freude am liebsten geschrien, das aber ließ meine Erschöpfung nicht zu.
Noch immer blieb ich in der X-Haltung liegen, atmete durch den offenen Mund und mußte mich zunächst einmal mit dem Gedanken vertraut machen, nicht mehr so stark gebunden zu sein.
Nach einer Weile hatte ich mich so gefangen, daß ich darangehen konnte, auch die linke Fessel zu lösen. Mein rechter Arm beschrieb dabei einen Halbkreis, ich kam relativ gut an den linken Strick heran und säbelte ihn durch.
Danach richtete ich mich auf.
Der Schwindel kam automatisch. Wer zu lange gelegen hatte und dessen Kreislauf in Mitleidenschaft gezogen worden war, konnte nicht anders reagieren.
Die Höhle schwankte vor meinen Augen. Ich selbst kam mir vor, wie auf einem schwankenden Schiff sitzend, das der hohe Wellengang auf- und niedertrieb.
Es geht nichts über eine gute Kondition. Mein Job sorgte schon dafür, daß ich fit blieb und auch Situationen wie diese hier überstehen konnte.
Ich spielte den Bodenturner, beugte den Oberkörper weit vor und streckte auch den rechten Arm aus. Es war zwar mühsam, ich konnte auch noch etwas vorrücken und kam gut an die Fußfesseln heran.
Als die letzten Fesseln platzten, hätte ich die ganze Welt umarmen können. Da sich niemand aufhielt, mußte ich mich mit mir selbst begnügen.
Das Aufstehen ist zwar eine einfache Sache, nicht für mich in meiner Lage. Der Kreislauf war schwer gestört. Ich hatte so meine Schwierigkeiten, kniete mich zunächst einmal, dann stemmte ich mich vorsichtig hoch und mußte breitbeinig stehen bleiben.
Mein Blick fiel auf den offenen Ausgang. Dort
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