0510 - Der Leichenzug
von wallenden Nebelschleiern umgeben, ein unförmiger Schatten abhob. Ein kastenförmiges Gebilde, dunkel und auch feucht glänzend.
Der Zug.
Ich wurde sehr vorsichtig, pirschte mich an Lok und Wagen heran, sah die offenen Türen und durchsuchte den Wagen.
Er war leer.
Kein Vampir mehr zu sehen. Im Licht der Lampe suchte ich nach Spuren, auch außerhalb des Zugs, und entdeckte im weichen Boden bestimmte Abdrücke, die nur von Autoreifen stammen konnten.
Bei genauerem Hinsehen und auch Überlegen kam ich zu dem Resultat, daß es die Reifen waren, die zu meinem Leihwagen gehören mußten, dem alten Fiat. Eigentlich kam nur Marek als Fahrer in Frage. Er war also unterwegs gewesen, um mich zu suchen.
Wo steckte er jetzt?
Das lange Überlegen brachte auch nicht viel. Es war zu dunkel und zu nebelig, um die Umgebung abzusuchen. Hier den Rest der Nacht zu verbringen, war ebenfalls nicht mein Fall.
Wo Petrila ungefähr lag, das war mir schon bekannt. Und diese Richtung schlug ich ein.
***
»Bringt es was, bringt es nichts? Ich weiß es einfach nicht.« Marek hatte die Worte gesprochen, den Motor ausgestellt und stand jetzt vor der Tür seines Hauses.
Auch Suko stieg aus dem Wagen.
Petrila war ebenfalls nicht verschont worden. Der dicke Herbstnebel hatte den kleinen Ort in den Karpaten eingehüllt wie ein grauer Mantel. Man konnte nicht mehr von einer Straßenseite bis zur anderen sehen. Daß dort überhaupt Häuser standen, war nur zu ahnen.
Suko war still. Deshalb schaute ihn der Pfähler auch besorgt an.
»Was hast du?«
»Mir brummt der Schädel.«
»Du siehst auch verdammt blaß aus.« Marek schloß die Tür auf.
»Komm rein, ich habe was für dich.«
»Tabletten?«
»Nein, aber etwas aus dem Wald. Naturheilkräfte, verstehst du? Eine Bekannte kommt hin und wieder vorbei und verkauft mir ihre Spezialmedizin. Die ist gut gegen alles, ob Rheuma oder Magenschmerzen. Man kann sie trinken oder sich damit einreiben.«
»Schmeckt das Zeug so wie dein Schnaps?«
»Willst du den beleidigen?«
»Nein, nur das nicht. Er ist eben nur für besondere Personen geeignet.«
»Das stimmt.« Marek schob Suko in die Küche. »Setz dich an den Tisch.«
Der Inspektor war froh darüber, daß er sich niederlassen konnte, er atmete tief durch. Marek brachte zuerst eine Schüssel mit Wasser und einen Handspiegel sowie Lappen und Handtuch.
»Da, wasch dir das Blut ab. Du siehst sonst aus wie Frankenstein auf Urlaub.«
»Der nicht auch noch«, meinte Suko. Er sah tatsächlich zum Fürchten aus. Das aus der Wunde gelaufene Blut war mittlerweile geronnen. Mit dem Lappen tupfte es der Inspektor ab.
Marek kam inzwischen mit der Tinktur. Er verteilte sie auf Sukos Wunden, der sofort ein Brennen und gleichzeitig eine angenehme Kühle spürte, die in seinen Kopf zu dringen schien, als wollte sie ihn überall ausfüllen.
»Gut so?«
»Ja, danke.«
Marek trat zurück. »Dann bin ich ja zufrieden mit dir.« Er zog die Lippen in die Breite, bevor er sich setzte. »Jetzt brauchen wir nur noch die Blutsauger einzufangen.«
»Und das im Nebel.«
»Genau. Auch ohne John Sinclair.«
Nach Mareks Worten bekam Sukos Gesicht einen Schatten. Es wirkte jetzt so hart und eckig wie das seines Gegenüber. »Vielleicht hätten wir ihn doch erst suchen sollen. Verdammt, ich mache mir schon die größten Vorwürfe.«
»Hast du nicht selbst gesagt, daß John zu den Leuten gehört, die auch allein fertig werden?«
»Das stimmt im Prinzip. Auch er ist kein Übermensch. Der kann in Situationen hineingeraten, aus denen es keinen Ausweg gibt. Verstehst du das, Frantisek?«
»Natürlich. Hätten wir denn etwas anders machen können?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.« Suko lehnte sich zurück und schloß für einen Moment die Augen.
Der Pfähler ließ ihn in Ruhe. Er selbst trank einen Schluck von seinem Spezialschnaps. Die Flasche stellte er wieder weg, stützte die Hände auf die Tischplatte und schaute Suko an.
Der öffnete die Augen. »Du willst wieder weg?«
»Sicher.«
»Ich auch.«
»Fühlst du dich in Form?«
Der Inspektor lächelte. »Nicht hundertprozentig, aber einige Vampire jage ich noch immer.«
»Das ist gut. Weißt du, Suko, ich würde mich ja freuen, wenn sie es auf uns abgesehen hätten und nur uns suchen würden. So aber sind alle in Gefahr, das gefällt mir überhaupt nicht.«
»Frag mich mal.«
Die beiden gingen wieder nach draußen, wo der dichte Nebel seine Kreise zog und sie schluckte. Es war
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