0518 - Der Vampir von Versailles
zurück, Monsieur. Es kann nur ein paar Tage dauern.«
»Es eilt nicht«, versicherte Morillon. »Kaum zu glauben, daß ein Mann von Eurer Statur sich von Räubern alles abnehmen läßt… aber ich vergaß: Ihr seid ein Gelehrter, nicht wahr? Ein Mann des Kopfes, nicht des Armes.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Das zu beurteilen, Monsieur, überlasse ich immer den anderen. Wenn Ihr gestattet, bemühe ich mich jetzt ein wenig um Eure Anverlobte.«
Sie lag nach wie vor ausgestreckt auf dem Bett und hatte sich zwischenzeitlich nicht gerührt. Zamorra nahm ihren Frisierspiegel und hielt ihn neben die Frau. Er konnte nur einen vagen Schatztum erkennen. Morillon räusperte sich. »Es ist kaum zu glauben«, raunte er. »Seid Ihr sicher, daß ich nicht träume?«
Zamorra winkte ab. Er hielt den Spiegel jetzt dicht über Rebeccas Gesicht. Er beschlug leicht; sie atmete also noch, war noch nicht zu einer Untoten geworden, obgleich die drei dicht nebeneinander liegenden Bißmale an ihrem Hals darauf hinwiesen, daß der Vampir bereits ganze Arbeit geleistet hatte. Auch ihre Haut war bleich und pergamentartig geworden. Über den Fingerknöcheln spannte sie fast blau. Daran beschönigte auch das gelbliche Kerzenlicht nichts.
»Verlaßt jetzt bitte das Zimmer, Monsieur«, bat Zamorra.
»Warum?«
»Weil Eure Anwesenheit sich bei dem, was ich zu tun beabsichtige, als störend erweisen würde«, erwiderte der Professor.
»Das bezweifele ich«, widersprach Morillon. »Ich bleibe hier. Ich will wissen, was mit Mademoiselle Deveraux geschieht.«
»Bitte gehen Sie«, drängte nun auch Nicole. »Das Schlimmste, was ihr zustoßen konnte, ist bereits passiert. Es kann durch das Eingreifen des Professor höchstens besser werden.«
»Ich lasse sie nicht allein«, beharrte Morillon.
»Na schön«, stimmte Zamorra schließlich zu. »Aber wundern Sie sich über nichts, und stören Sie mich auch nicht - ganz gleich, was geschieht.«
Morillon sagte nichts.
Zamorra setzte sich neben die immer noch reglos daliegende Rebecca Deveraux. Er tastete nach den Bißmalen. Dabei stellte er fest, daß die Haut des Mädchens sich sehr kalt anfühlte, fast wie die einer Toten. Aber noch lebte sie. Noch hatte sie die Schwelle ins Vampirreich nicht überschritten. Allerdings war es vielleicht nur noch eine Frage von Minuten. Der Vampir hatte dreimal gebissen und dreimal von ihrem Blut getrunken. Das genügte, sie zu seinesgleichen zu machen. Vermutlich war sie nur deshalb noch nicht ganz Vampirin, weil dieser Blutsauger bei seiner letzten Attacke zu früh gestört worden war.
Sie war wirklich hübsch; wesentlich schöner als manche Edelfrau, die Zamorra während seines Streifzuges über den Weg gelaufen war. Kein Wunder, daß der Vampir sie zu seiner Gefährtin hatte machen wollen. Denn wenn es ihm nur um das Blut gegangen wäre, hätte er sie auch »leertrinken« und sich damit für mehrere Wochen sättigen können. Sie wäre gestorben, beigesetzt worden und dann allenfalls als seelenloser Zombie wieder erwacht, sofern sie durch eine Beschwörung wieder aus dem Grab gerufen worden wäre.
Zamorra hatte das Amulett wieder an sich genommen und aktivierte es mit einem konzentrierten Gedankenbefehl. Es reagierte sofort. Das beruhigte ihn. Die ganzen Tage in den verschiedenen Vergangenheitsepochen war es nur ein seltsam weiches , leichtes Schmuckstück gewesen, nicht mehr. Zamorra hatte mehrfach das Gefühl gehabt, als ob das Amulett nur »zur Hälfte« existierte. Er konnte nicht ahnen, daß es in zwei Zeitebenen zugleich existiert hatte: in der Gegenwart und in den jeweiligen Vergangenheiten.
Aber seit der letzten Versetzung fühlte es sich wieder komplett an, und allein die Tatache, daß es Nicoles Ruf gefolgt war, bewies, daß es endlich wieder einsetzbar war. Zamorra stellte fest, wie sehr er sich in den letzten Jahren an die magische Kraft dieser Silberscheibe gewöhnt hatte. Obgleich er den Dynastie-Blaster bei sich führte und es ihm gelungen war, auf dem Verdun-Schlachtfeld auch einen Dhyarra-Kristalll zu erbeuten, hatte er sich unterbewußt immer unwohl und hilflos gefühlt. Ich muß mich unabhängiger von dem Amulett machen, dachte, er. Vielleicht würde es ihm eines Tages von sich aus den Dienst versagen. Seit es jenes künstliche Eigenbewußtsein entwickelte, das allmählich immer stärker wurde, wurde es auch immer unberechenbarer.
Unabhängig von mir machen? Glaubst du im Ernst , daß du das jemals schaffen könntest? kam auch
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