0519 - Schatten des Grauens
Leonardo deMontagne ließ ihn nicht mehr los. Aber der konnte doch nicht noch einmal seinem Tod ein Schnippchen geschlagen haben! Wer oder was verbarg sich aber dann dahinter?
***
Da war ein fremder Schatten…!
Francine war überrascht, fassungslos.
Der Schatten eines Fremden…
Aber dieser Fremde selbst war nirgends zu sehen, und trotzdem bewegte der andere Schatten sich, und kam langsam näher. Wieder eine neue Erfahrung: Als zweidimensionales Etwas auftretend, konnte sie zwar ihre eigenen Umrisse nicht eindeutig erkennen - beziehungsweise die ihres Schattens -, dafür aber die des anderen! Für sich selbst fehlte eine Dimension. Ihr Schatten war zweidimensional, während ihr Körper und auch ihr Denken und ihre Vorstellungskraft dreidimensional waren. Vermutlich war das der Grund, weshalb sie Schwierigkeiten hatte, sich mit ihrer seltsamen Fähigkeit zurechtzufinden. Dem zweidimensionalen Gebilde waren Dinge möglich, die ein dreidimensionaler Körper niemals vollbringen konnte, aber es fehle eben eine Existenzebene…
Sie wollte den fremden Schatten ansprechen. Doch das Schattendasein besaß ein weiteres Handicap: Schatten sind lautlos. Schatten sprechen nicht.
Der andere schien in Kommunikation geübter zu sein. Er strecke einen Arm vor, um Francines Schatten zu berühren. Sie schrak zusammen. Als die beiden Schatten einander durchdrangen, glaubte sie, ein elektrischer Schlag träfe sich. Alles in Francine war sekundenlang nur wildes Kribbeln und Zucken, eine rasende Aufeinanderfolge wirbelnder Kraftimpulse. Im nächsten Moment war schon wieder alles vorbei.
Ihr eigener Schatten war geflohen, gesteuert vom Panik-Empfinden Francine Belos. Mit weit aufgerissen Augen starrte sie in ihrer Wohnung ihren Schatten an, der wieder zu ihr zurückgekommen war.
Aber wer und wo war der Fremde?
***
Zamorra stoppte den silbergrauen BMW am Anfang der Straße. »Da drüben, das Haus muß es sein«, sagte er.
»Und warum hältst du dann schon hier an?« kritisierte Nicole. »Es ist kalt, und es regnet.«
»Besser Regen als Schnee.«
Zamorra schaltete den Motor aus und das Parklicht an. Vorsichtshalber, obgleich hier kaum mit viel Verkehr zu rechnen war.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, erinnerte ihn Nicole.
»Reine Vorsicht«, erwiderte der Dämonenjäger. »Ich möchte überraschen, aber nicht selbst überrascht werden.«
Nicole berührte seine Brust. »Warnt es?« Damit meinte sie sein Amulett, das er unter dem Hemd trug.
»Noch nicht. Aber ich möchte nicht blind in eine Falle stolpern oder das Wild verscheuchen.«
»Du rechnest mit einem Angriff?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich rechne mit allem und nichts, aber wenn hier tatsächlich jemand eine Fähigkeit besitzt, mit der bislang nur Leonardo deMontagne aufwarten konnte, dann macht mich das eben ein bißchen mißtrauisch. Ich denke, ein paar Meter zu Fuß werden uns kaum schaden.«
»Uns vielleicht nicht, wir Menschen sind ja recht robuste Geschöpfe - aber mein neuer Mantel braucht doch nicht unbedingt so schnell schon eine chemische Reinigung!« protestierte Nicole.
Zamorra grinste. »Nur keine Aufregung«, beschwichtigte er mit einem Blick zum wolkenverhangenen Himmel. »Es ist ja nicht alles regen, was da runterkommt. Ein bißchen Wasser ist sicher auch mit dabei.«
Sie stiegen aus und näherten sich zu Fuß dem Haus, in dem nach Auskunft Robins die junge Frau namens Francine Belo wohnen sollte. Es handelte sich um ein kleines Zweifamilienhaus mit Garten. Neben dem Eingang fanden sich noch die kümmerlichen Reste eines zusammengeschmolzenen Schneemanns.
Plötzlich glaubte Zamorra, beobachtet zu werden. Er sah sich um, konnte aber keinen Menschen sehen. Im gleichen Augenblick stieß Nicole ihn an und deutete auf eines der Fenster der oberen Etage.
Dort glitt gerade eine Gardine zurück.
Zamorra atmete tief durch. »Unsere Ankunft ist kein Geheimnis mehr«, stellte er fest. »Vorausgesetzt, Belo wohnt da oben.«
Im gleichen Moment machte sich sein Amulett bemerkbar. Zamorra »hörte« die lautlose, telepathische Stimme der Silberscheibe in seinem Bewußtsein aufklingen:
Das ist ein alter Bekannter.
***
Minutenlang war Francine Belo nicht in der Lage, etwas zu tun. Sie konnte nicht einmal einen klaren Gedanken fassen. Wieder und wieder sah sie das Bild dieses fremden Schattens vor sich. Endlich brachte sie es fertig, sich aus ihrem Sessel zu erheben und zum Fenster zu gehen. Sie warf einen Blick nach draußen. Sie konnte
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