052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
Lippen.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe selbst nicht, wie dies ...« Sie
unterbrach sich und ihre Augen nahmen plötzlich einen erschreckten Ausdruck an.
Sie fürchtete, dass man ihr keinen Glauben schenkte. Das aber bedeutete,
dass man ihr nachsagen würde, sie hätte eine Halluzination gehabt. X-RAY-3 las
in ihrem Blick die Panik, die sie mit einem Mal erfüllte. Er erkannte, was in
ihr vorging.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen – wir glauben Ihnen alles. Es war
bestimmt keine Halluzination, wie Sie vielleicht jetzt denken mögen.« Er sah
sie mit ruhigem Blick an. Kommissar Lecquell stand am Fußende der Couch. Er
stopfte sich scheinbar gedankenverloren und geistesabwesend, als ginge ihn das
alles gar nichts an, seine geliebte Pfeife. Er war froh, dass Larry Brent sich
zum Sprachführer gemacht hatte und der Dinge annahm, die immer mysteriösere
Züge erhielten.
»Er muss hier gewesen sein«, stieß sie plötzlich hervor, und die Angst in
ihren Augen verstärkte sich. Larry fürchtete, dass sie nahe vor einem Schock
stand.
»Als ich zum Bistro vorrannte ... er war also doch in der Nähe ...
vielleicht indem Telefonhäuschen, von dem ich gesprochen habe, der Mann mit dem
Hut, mit der großen Tasche ...«
Sie sprach wirr durcheinander. Rasch kamen die Worte über ihre Lippen.
Larry nickte. »Sie haben uns das alles schon erzählt. Wir haben allerdings eine
Unstimmigkeit bisher einwandfrei feststellen können.«
»Unstimmigkeit?«
»Die Sache mit dem Telefon.« X-RAY-3 blickte sie ruhig an. »Man konnte von
hier aus telefonieren. Die Leitung war nicht blockiert.«
» Sie war es ...«, presste Michele
Claudette hervor. Ihre schmalen, blassen Hände kamen zitternd in die Höhe, und
fahrig strich sie sich über ihre schweißnasse Stirn.
»Wie sah der Mann aus, dem Sie in der Metro gegenübersaßen?«, fragte Larry
unvermittelt.
»Ich habe ihn mir nicht so genau angesehen. Das heißt: von seinem Gesicht
war nicht allzu viel zu sehen. Er trug einen breitkrempigen, etwas altmodischen
Hut. Farbe dunkelgrau. Das Gesicht von Dr. Sarde – wie er sich am Telefon
nannte – war breit und kräftig. Die Augen dunkel. Er trug einen dunkelbeigen
Trenchcoat.«
»Das ist immerhin schon einiges, wenn auch nicht allzu viel. Denken Sie
scharf nach, vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein?«
Sie presste die Lippen zusammen. »Seine Sprache – er redete zwar
französisch – aber da war ein Akzent in seiner Stimme.« Sie unterbrach sich
abrupt und sah den Amerikaner aus großen Augen an. »Sie reden auch französisch
– aber Ihr Akzent kommt stärker heraus, Monsieur Brent. Auch dieser Mann sprach
in einem ähnlichen Akzent. Er sprach, wie es ein Amerikaner sprechen würde.«
X-RAY-3 stutzte.
Ein Amerikaner, der sich Sarde nannte? Das klang mehr als merkwürdig. Es
lohnte, dieser Sache nachzugehen.
Nach einigen Hinweisen, die Larry und auch Lecquell für bedeutungslos
hielten, verabschiedeten sich die beiden Männer. Der Kommissar verließ die
Wohnung erst, nachdem Michele Claudette eine Schlaftablette genommen hatte.
»Sie brauchen nichts zu fürchten«, sagte er abschließend. »Bis zum
Eintreffen des Beamten steht auf jeden Fall ein Polizist draußen vor Ihrer Tür
...« Er nickte Michele aufmunternd zu, auch Larry Brent warf noch einmal einen
Blick zurück.
Er erntete dafür ein stilles Lächeln.
Lecquell unterhielt sich während der Fahrt des Aufzuges nach unten mit dem
Beamten, der nach der Ohnmacht Michele Claudettes auf den ausdrücklichen Wunsch
Lecquells eingetroffen war. Dieser Beamte hatte die Wohnung nach Spuren
abgesucht und die Reisetasche nach einer gründlichen Durchsuchung an sich
genommen. Er hoffte, dass der geheimnisvolle Täter einen Abdruck oder sonst ein
winziges Merkmal, das nur im Labor festgestellt werden konnte, zurückgelassen
hatte.
Während der Fahrt zum Kommissariat erörterten die beiden Männer eingehend
die Dinge. Sie kamen zu keinem rechten Schluss. Larry gewann den Eindruck, als
wolle Lecquell den Aussagen der jungen Studentin keinen hundertprozentigen
Glauben schenken.
»Sie roch nach Alkohol«, fügte er einmal hinzu.
»Sie hat gesagt, dass sie drei Cognac zur Beruhigung getrunken hätte«,
widersprach Larry.
»Das ist richtig. – Nun, warten wir ab.« Lecquell gab sich zuversichtlich.
»Wenn all das stimmt, was sie uns erzählt hat, dann wird – nein, dann muss einfach in den nächsten zwei bis
drei Tagen eine grausige Jagd auf sie stattfinden. Aber
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