052 - Roboter des Grauens
Melton vom nahegelegenen Kreisstadtbahnhof abzuholen, lief ihm John Ashley über den Weg. Der junge Mann hatte sich während der letzten beiden Tage selten sehen lassen. Er befand sich fast ständig im Krankenhaus bei Mary. Mit blassem Gesicht und tiefen Schatten unter den Augen saß er an ihrem Bett und konnte ihr doch nicht helfen.
„Na, Ashley, wie geht’s Miß Rothfail?“ lautete daher auch die erste Frage an den Studenten.
„Unverändert. Ihr Leben konnte zwar gerettet werden, aber seit der Operation ist sie ständig bewußtlos. Die Ärzte sagen, das sei auf den Schock zurückzuführen. Ob sie die Besinnung je wiedererlangt, kann keiner sagen. Es gibt ähnliche Fälle, wo Patienten jahrelang im Koma dahindämmerten.“
„Schrecklich!“ Inspektor Hunter legte den Arm um die Schultern des jungen Mannes. „Wollen Sie mit in die Stadt kommen? Ich bin eben im Begriff, Professor Melton vom Bahnhof abzuholen. Vielleicht wird es Sie ein wenig aufmuntern, wenn Sie ihn sehen.“
„Melton, was will der denn hier?“
„Er soll mir bei meinen Nachforschungen helfen“, antwortete Hunter. „Aber kommen Sie nun?“
„Ja.“
John stieg in den Humber.
„Wieso glauben Sie, daß ausgerechnet ein Archäologe für Sie wichtig sein könnte?“ fragte John nach einer Weile, während der Wagen über die heckenumsäumte Landstraße schoß.
„Weil ich immer mehr vermute, daß man mit den Mitteln der gängigen Kriminalistik den Mörder niemals fassen wird“, sagte Hunter. „Zu viele mysteriöse Fakten sprechen inzwischen mit. Sie wissen ja selbst. Ich will versuchen, den Knoten jetzt von der anderen Seite her aufzulösen. Aber wie, das werden Sie erfahren, wenn mein alter Freund Melton angekommen ist. Sie können mir übrigens auch dabei helfen. Ich bitte Sie darum.“
„Gut. Ich muß sowieso auf andere Gedanken kommen, sonst werde ich noch verrückt.“ Gequält starrte John zum Fenster hinaus.
„Sie lieben Mary Rothfail?“ fragte der Inspektor.
John nickte.
„Und deswegen haben Sie mir auch die Sache mit dem Ring verschwiegen. Sie wußten doch, daß sie einen solchen trug?“
„Ja, ich wußte es“, antwortete John. „Ich wußte auch, daß sie ihren Ring verloren hatte. Den Zusammenhang allerdings kann ich mir immer noch nicht erklären“, fuhr er fort. „Mary kann nicht die Mörderin sein, und doch wurde ihr Ring bei der Leiche im Wald gefunden.“
„Das war nicht ihrer“, sagte der Inspektor. „Ich schaute mir Miß Rothfails Haus nach dem Verbrechen nochmals genau an und fand das Schmuckstück in einer Dielenritze. Sie hatte den Ring wirklich verloren.“
„Na, wenigstens ist ihre Unschuld nun bewiesen“, lachte John unendlich erleichtert auf. „Ob ihr das aber noch helfen kann?“ Sein Gesicht bekam einen verzweifelten Ausdruck.
„Geben Sie die Hoffnung nicht auf!“ Inspektor Hunter reichte dem jungen Mann eine Zigarette. „Und nun bereiten Sie sich auf Ihres Masters Voice vor. Wir sind gleich am Bahnhof.“
Aber John ging nicht auf den Scherz des Inspektors ein.
„Dann besaß der Mörder also denselben Ring wie Mary?“ fragte er.
„Ja, und das ist wieder eine Spur mehr. Der Ring stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Er trägt ein alchimistisches Symbol. Wir werden auch hier Arbeit bekommen.“
Die beiden Männer unterbrachen ihr Gespräch. Der Inspektor stoppte den Wagen vor dem Bahnhofsportal. Sie brauchten nicht lange zu warten, bis der Zug einfuhr. Hunter und Ashley stiegen aus und gingen auf den Bahnsteig, um den Professor dort zu erwarten.
„Aha, dort kommt er schon!“ John hatte Melton als erster entdeckt. Wenige Sekunden später begrüßte der Professor seinen alten Schulfreund herzlich, seinen Studenten mit leichter Verwunderung.
„Sind Sie vielleicht der Geist, der hier sein Unwesen treiben soll?“ fragte er Ashley, nachdem er beiden Männern die Hand gegeben hatte. „Ich glaubte, Sie seien längst wieder in Oxford. Ihre Kollegen sind dort auch schon eingetroffen.“
„Der Fall berührt mich mehr, als Sie denken“, antwortete John. „Ein Mädchen, das mir sehr nahesteht, wurde von dem Phantom schwer verletzt. Deswegen bin ich hiergeblieben. Natürlich wollte ich auch das Fresko nicht ohne Aufsicht lassen.“
„Ja, das Fresko, lieber Ashley“, sagte Melton. „Ich schätze, wir werden uns in den nächsten Tagen eingehend damit beschäftigen müssen. Aber ich schlage vor, wir fahren zuerst nach Conway. Auf dem Bahnsteig unterhalte ich mich nicht gern. Es
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