0529 - Der Dschinn
das vom Magier nur zu einer Frühstücks- oder Entwicklungspause sich selbst überlassen worden war? Oder ob die herumstehenden Dinge nicht gerade deshalb herumstanden, weil sie noch benötigt wurden?
William trieb deshalb nicht die Pflicht, sondern die reine Neugierde her. Immerhin schienen sich hier in den letzten 24 Stunden ein paar Dinge abgespielt zu haben, für die angeblich nicht einmal der Meister des Übersinnlichen selbst eine Erklärung parat hatte. Und seltsamerweise verhielt sich auch Raffael seither bisweilen recht seltsam. William kannte ihn nicht gut und nicht lange genug - gerade mal ein Jahr -, um sagen zu können, was sich an Raffaels Verhalten verändert hatte. Aber etwas war nicht in Ordnung, und William nahm an, daß es seinen Ursprung hier hatte.
Vorsichtshalber prüfte er, ob es ein Warnsymbol im Eingangsbereich gab, das ihn auf eine Gefahr hinwies. Aber Zamorra hatte nichts dergleichen angebracht, und die magischen Zeichen, die vom gestrigen Experiment übriggeblieben waren, waren teilweise verwischt. Das wären sie sicher nicht, wenn die Aktion noch lief.
Also trat William ein und schaute sich um. Er registrierte die flache Couch und beschloß, daß das Ding so bald wie möglich erneuert werden mußte. Sein schottischer Sinn für Sparsamkeit wies ihn auf den Kauf eines Gebrauchtmöbels hin; für diesen spartanischen Zweckraum reichte das allemal aus.
Da war noch etwas. William registrierte es eher beiläufig aus dem Augenwinkel, als er sich umwandte und den Raum wieder verlassen wollte. Der Gegenstand lag dort, wo eigentlich kein Gegenstand zu liegen hatte, ganz gleich, ob er für ein Experiment benötigt wurde oder nicht. Zudem war es William nicht ganz einsichtig, was ein ganz gewöhnlicher Korken mit Magie zu tun haben sollte.
Er hob ihn auf.
Nun, ganz gewöhnlich schien er doch nicht zu sein. Zumindest war er entschieden größer als die Korken, die man für gewöhnlich in Weinflaschen fand. William folgte einer Eingebung und steckte diesen Korken einfach ein. Er beulte die Tasche seiner Dienerweste zwar erheblich aus, aber das ließ sich ja ändern, indem William das Ding anderswo wieder beiseitelegte oder wegwarf.
Nur vergaß er das dann später.
***
In verzweifeltem Zorn starrte Curd derweil auf seinen ruinierten Garten. Ein Maulwurf? Inzwischen mußte es sich bereits um ein gutes Dutzend handeln, wenn nicht sogar um noch viel mehr von diesen vierbeinigen Tunnelbauexperten. Der Garten war total zerwühlt, Erdhügel erhob sich neben Erdhügel, und von den Nutzpflanzen war nicht mehr sonderlich viel zu sehen. Wäre dieses Chaos nicht in seinem Küchengarten, sondern in gleicher Größe auf den Feldern seines Landwirtschaftsbetriebes entstanden, wäre er ruiniert. Dann könnte er die Ernte vergessen und Bankrott anmelden. Aber auch so war es schon schlimm genug.
Daß ein Dschinn nicht nur provozierend sein, sondern auch über eine gesunde Portion Rachsucht verfügen konnte - woher sollte er das ahnen?
Jedenfalls war der Tag für ihn gelaufen. Er beschloß, »Zum Teufel« zu gehen um den Pegel auf das Niveau Oberkante-Unterlippe zu heben. Vorsichtshalber warf er einen Blick in seine Geldbörse, um nachzuschauen, ob er überhaupt genug Kleingeld bei sich hatte, um die Zeche bezahlen zu können. Nicht, daß Mostache sie ihm nicht auf den Deckel geschrieben hätte; man kannte sich ja. Aber Curd machte ungern Schulden. Nicht mal bei seinem konkurrenzlosen Lieblingswirt.
Die Geldbörse fühlte sich verflixt dick an. Dicker, als sie eigentlich sein sollte. Verblüfft schaute Curd hinein.
Sie quoll fast über von Geldscheinen.
Von großen Geldscheinen.
Von einem Moment zum anderen mußte Curd um wenigstens hunderttausend Francs reicher geworden sein!
Da erst begriff er wirklich, was der schrullige Scheich ihn gefragt hatte: Ob die Menge des Geldes denn ausreiche, die er hereingebracht habe!
»Ich glaub's nicht!« stieß Curd hervor. »Dieser Irre kann doch unmöglich Geld zaubern! Das haben doch im Mittelalter schon die Alchimisten vergeblich versucht!«
Nur hatten die sich an Gold versucht und nicht an Geldscheinen!
Jedenfalls hatte Curd jetzt einen Grund mehr, Talsperre zu spielen und sich langsam aber sicher bei Mostache vollaufen zu lassen. Und vielleicht konnte Mostache ihm auch einen Tip geben, ob die Scheine überhaupt echt waren oder ein unangenehmer Zeitgenosse den reziproken Taschendieb gespielt und Curd heimlich jede Menge Falschgeld zugesteckt hatte!
***
Raffael
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