0529 - Der Dschinn
Bois rührte sich nicht mehr aus seiner Zimmerflucht heraus und überließ alle anfallenden Arbeiten großzügig William. Zweimal sprach Zamorra ihn nach seiner und Patricias Rückkehr aus Montrand über die Sprechanlage an und bat, ihn besuchen und mit ihm zu reden zu versuchen, aber jedesmal blockte Raffael seinen Chef ab und wurde dabei immer unhöflicher. Am Ende des zweiten Versuchs riet er Zamorra sogar, er möge sich bittesehr zum Teufel scheren, wenn er es nicht fertigbrächte, einem alten Mann seine Ruhe zu lassen.
»Das ist nicht mehr Raffael!« war Zamorra sicher. »Er wird von einem anderen gesteuert, und dieser andere ist garantiert unser ›Freund‹, der Dschinn…«
Aber solange keine Lebensgefahr bestand, hatte Zamorra schon immer die Privatsphäre anderer respektiert. Dabei wurde in ihm der Verdacht immer größer, daß diese Flasche oder Vase, von der Raffael in Trance gesprochen hatte, in Raffaels Wohnung zu finden war.
Ich an deiner Stelle würde mich auf mein Recht als Hausherr und Brötchenfinanzierer berufen und ihm trotzdem einen Besuch abstatten! machte sich Merlins Stern telepathisch bemerkbar. Du weißt, daß Raffael der Schlüssel zu allem ist - oder dieser Schlüssel bei ihm zu finden ist!
»Das eben unterscheidet uns beide«, gab Zamorra zurück. »Du würdest es tun, weil du rücksichtslos bist.«
Was, wenn deine Rücksichtnahme dafür sorgt, daß eine Gefahr groß wird, die du nicht mehr unter Kontrolle bringen kannst?
»Dann dürftest immer noch du existieren, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Dafür hat Merlin dich schließlich einst geschaffen und dafür gesorgt, daß du mein wirst!«
Narr! kommentierte das Amulett.
Auf derlei Äußerungen konnte der Parapsychologe liebend gern verzichten. Ihn interessierte eher, wann und unter welchen Umständen der Dschinn wieder in Erscheinung trat. Und warum Zamorra selbst in den letzten Stunden von ungebetenen »Dienstleistungen« verschont geblieben war.
Vielleicht, weil der Dschinn zwischenzeitlich anderweitig aktiv geworden war und als Lebensretter Lorbeeren geerntet hatte…?
***
Später am Abend trudelte via Regenbogenblumen Nicole wieder im Château ein. »He, was ist mit Roms Nachtleben?« erkundigte Zamorra sich. »Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß Carlotta und du die Ewige Stadt auf den Kopf stellen würdet. Ich habe erst morgen im Laufe des Tages wieder mit dir gerechnet.«
»Pah!« machte Nicole. »Rom ist doch tiefste Provinz! Also bin ich lieber zurückgekehrt, damit ich wenigstens hier nichts versäume!«
»Sieht so aus, als hättest du tatsächlich was versäumt«, murmelte Zamorra. »Aber möglicherweise hättest du das nicht mal registriert, wie viele andere auch… du hast dich doch wohl nicht mit Carlotta zerstritten?«
»I wo!« protestierte sie. »Wir heiraten nächste Woche… nee, im Ernst, cheri, Ted ist überraschend zurückgekehrt, und deshalb wollten die beiden natürlich allein sein. Aber Roms Nachtleben für eine Frau auf Solo-Trip…? Bei den Italienern, die sich in den Bars und auf den Straßen 'rumtreiben und glauben, alles, was lange Haare und 'nen Busen hat, müsse sofort mit ihnen ins Bett steigen…? Nein danke! Dieser Sommer treibt Blüten, und vermutlich sieht es in Paris, München, New York, und wie die Dörfer sonst noch heißen, mit den selbsternannten Männern kaum anders aus… Bei dir weiß ich wenigstens, was ich an dir habe!«
Zamorra hob die Brauen.
»Und was ist das, was ich hier versäumt haben soll?« fragte sie.
Er grinste sie an. »Neugierde gegen Neugierde. Ich verrate es dir, wenn du mir vorführst, was du eingekauft hast.«
»Das grenzt an Erpressung. Ich frage einfach Raffael.«
»Viel Vergnügen dabei«, wünschte Zamorra. Da hob Nicole verwundert die Brauen. »Da ist doch was oberfaul, wenn du so einfach nachgibst! Moment!« Sie trat an die Sprechanlage, die alle bewohnten Räume miteinander verband, und betätigte die Ruftaste. »Raffael…?«
Und noch einmal. »Hallo, Raffael…?«
Da meldete er sich. »Verdammt, Zamorra, schicken Sie jetzt schon Mademoiselle Duval vor, um mich belästigen zu können? Ich will meine Ruhe! Begreifen Sie das endlich, oder muß ich Ihnen doch noch meine Kündigung schreiben?«
***
Daß ein solches Verhalten für Raffael nicht nur ungewöhnlich war, begriff auch Nicole sofort. »Was ist denn mit dem passiert?« stieß sie hervor.
Zamorra vergaß allen Flax. »Komm, ich erzähl's dir«, sagte er und lenkte
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