053 - Der Brigant
Raum, mit großen weiten Fenstern, die sich nach einem Rasenabhang öffneten. Weit hinten in der Ferne zogen sich bewaldete Hügel hin und erglänzten feuerrot im Schein der untergehenden Sonne gegen den amethystfarbenen Himmel. Sie spielte eine weltferne Melodie, klagend und doch wunderbar süß, einen Sang von Tod und Liebe und von süßen, entschwebenden Erinnerungen.
Am dritten Tag kam endlich Nachricht. Zu seinem größten Erstaunen erhielt er sie direkt zugestellt. »Anthony Newton, Esq.« Seine Adresse war ganz richtig angegeben. Schon bei den ersten Worten schlug sein Herz heftiger.
»Einzig Geliebter meiner Träume«, war die Anrede. Sie wollte ihn sehen, ihm nahe sein, ihm in die Augen schauen, den süßen Klang seiner wohllautenden Stimme hören ...
Anthony wischte sich den Schweiß von der Stirn und lächelte zärtlich. Er war ihr alles. Verwandte, Reichtum, selbst liebenswürdige Chauffeure waren in Nichts versunken. Und so ging es fort bis zur Nachschrift.
Aber dann kam eben die Nachschrift.
»O Anthony, was soll ich tun? Meine Mutter hat einen deiner Briefe gefunden, und mein Bruder ist furchtbar wütend und sagt, daß ich dich sofort heiraten muß.«
Anthony taumelte eine Sekunde. Glücklicherweise war er in seinem Zimmer. Es wäre nicht gut gewesen, wenn ihm das in der Öffentlichkeit passiert wäre. Er las weiter.
»Mein Bruder sagt, daß er schließlich noch den Chauffeur hätte entschuldigen können, weil er meine Hand hielt, während er mir Fahrunterricht gab. Auch daß der Kühler vollständig zertrümmert wurde, als wir gegen einen Baum auf der Landstraße fuhren, wäre nicht so schlimm gewesen. Aber er kann und will mir jetzt nicht vergeben, er weist mich aus dem Hause. Anthony, mein Lieber, ich komme zu dir!«
Anthony zerknitterte den Brief und steckte ihn in die Tasche, setzte seinen Hut auf und raste die Treppe hinunter. Unten angekommen, sprach er noch schnell mit dem Portier.
»Wenn irgendeine Frau hierherkommt und nach mir fragt - ich bin aus - ich bin gestern abgereist. Und wenn ein Herr kommt, dann sagen Sie ihm, daß ich schon vorige Woche weggefahren bin. Wenn sie fragt, ob ich wohlhabend bin, dann sagen sie: Nein! Und wenn sie fragt, ob ich gut aussehe, dann sagen Sie: NEIN!«
»Ja, das kann ich wohl ganz gut tun, Mr. Newton«, meinte der Portier.
Anthony sprang in das erste Mietauto, das ihm begegnete, und fuhr im schnellsten Tempo in die City. Die Straße, in der das Büro von Tanker &: Co. lag, war wieder durch drei große Möbelwagen blockiert. Aber er arbeitete sich durch, und ohne sich vorher von der Dame hinter dem Messinggitter anmelden zu lassen, brach er sofort in Mr. Tankers Büro selbst ein. Der alte Herr schaute ihn wohlwollend über seine Brillengläser an.
»Kommen Sie wegen Ihres Geldes, Mr. Newton? Ich war gerade im Begriff, es Ihnen zu schicken.«
»Nein«, rief Anthony atemlos. »Deswegen bin ich nicht hier. Ich brauche kein Geld. Sie will mich heiraten!«
»Die Dame, mit der Sie in Korrespondenz stehen? Aber natürlich!«
»Was?« schrie Anthony wild auf.
»Aber natürlich, aber natürlich. Was ist denn nicht richtig dabei?«
»Ihre Mutter hat meine Briefe gefunden, Mr. Tanker. Sie müssen mir jetzt aus dieser Geschichte heraushelfen. Ich brauche ein Schreiben von Ihnen, das genau erklärt, warum ich an die Dame geschrieben habe.«
Mr. Tanker schüttelte traurig den Kopf.
»Dann würde ich das Vertrauen meiner Klientin verraten. Ich will noch weitergehen, Mr. Newton. Ich werde alle Kenntnis, die ich von der Sache habe, ganz abstreiten. Sie sind sehr gut bezahlt worden, und da müssen Sie natürlich auch alles Risiko mit in Kauf nehmen. Es tut mir sehr leid, wirklich sehr leid. Aber offiziell weiß ich von Ihnen überhaupt nichts.«
Anthony setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber und staunte.
»Das Vertrauen eines Klienten ist für mich unantastbar«, fuhr Mr. Tanker geschäftsmäßig fort. »Ich würde ebensowenig auch nur im Traum daran denken, die Diskretion zu brechen und mich eines Vertrauensbruchs schuldig zu machen, als es mir einfiele, mich auf den Kopf zu stellen.«
»Aber ich werde Sie vor Gericht verklagen, Sie alter Schuft!« rief Anthony zornig.
Aber Mr. Tanker lächelte nur traurig.
»Wie wollen Sie denn das machen? Das ist ja ganz unmöglich. Sie werden es nicht dahin bringen, daß mein Name vor Gericht auch nur genannt wird - es sei denn, daß eine Klage wegen gebrochenen Heiratsversprechens erhoben wird. Aber Sie haben ja
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