0531 - Das Grauen von Zagreb
sahen nicht nur sie, sondern auch die Waffen, die sie in den Händen hielten.
Zwei Pistolen, deren Mündungen genau in die hochfahrende Kabine zielten.
***
Das Arbeitszimmer des Mannes wirkte düster wie der Vorhof zur Hölle. Obwohl es zwei hohe Fenster besaß, drang nur wenig Licht in den Raum, weil Vorhänge die Scheiben verdeckten und Tageshelle zum größten Teil außen vor ließen.
Wände waren kaum zu sehen, weil die mit Büchern vollgestopften Regale vom Boden bis hoch zur Decke reichten. Jeder Platz in den Regalen war ausgefüllt.
In der Mitte des Raumes stand ein großer alter Schreibtisch aus braun gebeiztem Holz. Ein Telefon, Papiere, mehrere Füllfederhalter und Kugelschreiber lagen darauf. Unordnung gab es nicht. Der hier Arbeitende war ein sehr penibler Mensch. Er kam durch eine Seitentür, die sich in einer Regalnische befand und sehr schmal war. Die Tür hatte er lautlos geöffnet. Der Teppich schluckte seine Schritte, so daß es aussah, als würde der Eintretende in das Zimmer schweben.
Ebenso leise drückte er die Tür wieder ins Schloß und näherte sich seinem Schreibtisch.
Auf dem weichen Leder des Stuhls nahm er Platz, legte die Hände auf die Tischplatte und bewegte seine langen Finger, als wollte er deren Geschmeidigkeit überprüfen.
Sein Gesicht lag im Schatten, nur die Hände waren zu sehen und die Gelenke.
Beide bewegten sich jetzt zur Seite, verschwanden, erwischten den Griff einer seitlich am Schreibtisch eingelegten Schublade und zogen diese vorsichtig auf.
Die Lade war sehr hoch. Es lagen keine Papiere darin. Nur ein Gegenstand stand dort.
Es war eine Figur, detailgetreu gearbeitet, eine wertvolle Arbeit.
Ein schwarzer Schwan!
Die Hände hoben den Schwan an. Behutsam stellten sie ihn auf den Schreibtisch, so daß seine linke Seite dem Sitzenden zugewandt war. Der nickte und begann zu flüstern.
In der Stille wirkten die Worte noch unheimlicher und geheimnisvoller, als sie ohnehin schon waren. Dabei bewegten sich auch die Hände. Die Kuppen der Finger strichen über den Körper des Schwans hinweg und zeichneten jede Stelle nach.
Dabei flossen andere Worte aus dem Mund des Sprechers.
Beschwörende Sätze, die vom Schutz der Toten sprachen und vom Hüter des Jenseits. »Schütze unsere Welt, schütze sie und vernichte die Feinde.«
Nach diesen Worten war es wieder still. Aber der Schwan sah so aus, als würde er nicken…
***
Bei uns ging es nicht nur um Sekunden, sondern um Bruchteile davon. Zwei auf uns gerichtete Waffen, zwei Finger, die bereit waren, die Abzugsbügel nach hinten zu ziehen und uns zu töten.
Ich hatte den Eindruck, angenagelt zu sein. Der Schreck lähmte mich und meine Reaktion. Da kam mir eine Sekunde so vor wie eine Ewigkeit. Zum Glück befand sich jemand bei mir, der innerhalb kürzester Zeit gedankenschnell umschalten konnte.
Und Suko wurde zu einem Wirbelwind.
Mit den Armen oder Händen konnte er nicht viel machen, aber er war mit seinen Beinen genauso flink.
Sie flogen förmlich hoch, bildeten eine Schere und stießen aus der viereckigen Öffnung des Paternosters.
Volltreffer!
Suko hatte die beiden im Gesicht und am Körper erwischt, noch bevor sie es schafften, abzudrücken.
Sie verschwanden zwar nicht aus unserem Blickfeld, aber der Kleinere überschlug sich fast, während sein Kumpan noch abdrückte und die Kugel neben dem Paternoster in die Wand jagte, bevor er einen schrillen Schrei ausstieß und sich an seine Brust faßte. Wir glitten mittlerweile nach oben, hatten uns beide gebückt, um noch mitzubekommen, ob sie nicht noch schossen.
Der Kleinere kroch über den Boden und heulte. Sein Gesicht war entstellt. Blut hatte sich darin verteilt. Diesen letzten Eindruck nahmen wir mit, bevor die Etage verschwand.
Ich lehnte mich für einen Moment gegen die Wand. »Hölle, Suko, das war knapp.« Erst jetzt kam die Reaktion bei mir. Ich zitterte plötzlich am gesamten Körper.
»Es ging nicht anders, John. Ich mußte hart zutreten. Die hätten geschossen, das las ich in ihren Augen. Die hätten geschossen!« wiederholte er.
»Klar, das hätten sie – und danke auch.«
»Quatsch.«
Ich beugte mich nach vorn. Ruhe konnten wir uns nicht gönnen.
In der dritten Etage hatten die beiden jungen Killer gelauert. Stellte sich die Frage, wie es in der vierten aussehen würde?
Diesmal bereiteten wir uns vor und zogen unsere Waffen. Sekunden noch, dann wurde es heller. Ein Teil des Vierecks erschien, der Ausschnitt vergrößerte
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