0531 - Das Grauen von Zagreb
Schreibtisch.
Wuchtig, aus dunklem Holz, mit Unterlagen bedeckt. Das Telefon fiel auf, wie auch der schwarze Schwan auf dem Schreibtisch und natürlich der Mann dahinter, Das also war der Dekan Dibbuk!
Er hatte sich nicht erhoben, blieb auf seinem bequemen Stuhl sitzen und schaute uns an. Sein Gesicht lag teils im Schatten, teils im Licht. Die Züge wirkten flach, ebenso wie die Nase und die etwas hervorquellenden Augen. Ich hatte den Eindruck, als würde ich in gelbe Pupillen schauen. Die Lippen bildeten eine breite Kerbe in dem runden Gesicht. Man konnte nicht einmal sehen, ob sie zu einem Lächeln verzogen waren.
Mir fiel noch etwas auf. Der Mann saß schief auf seinem Stuhl.
Das hatte einen Grund. Der Dekan gehörte zu den verwachsenen Menschen. Aus seinem Rücken schaute ein Höcker hervor. Auf dem Kopf wuchs dünnes Haar, das er zurückgekämmt hatte. Seine Kleidung bestand aus einem dunkelgrauen Jackett. Die Hände lagen auf dem Schreibtisch, seine Finger waren etwas gespreizt.
Er bot uns keinen Platz an, obwohl Stühle vorhanden waren. Nur aus seinen löwengelben Pupillen starrte er uns an.
»Ja, ich habe Sie erwartet. Man hat Sie beide avisiert!« Während er sprach, strich er über den schwarzen Porzellanschwan. »Ich will Ihnen jetzt schon sagen, daß ich Sie nicht mag.«
»Danke«, sagte ich, »hat das auch einen Grund?«
»Ja, Sie mischen sich in Dinge hinein, die Sie nichts angehen, wie man mir zutrug.«
Ich hob die Schultern. »Immerhin geht es um Selbstmorde. Mehr als fünfzehn.«
»Stimmt.«
»Seltsamerweise entstammten die Toten der geschichtlichen Fakultät, der Sie vorstehen.«
Er hob einen Arm. »Falsch, es waren einige, nicht alle.«
»Was trieb diese jungen Leute zum Selbstmord?« fragte Suko.
Der Dekan hob die Schultern. Sein Buckel war deutlich zu sehen.
Dann grinste der Mann. »Ich bin nicht deren Elternteil, ich weiß es nicht. Viele Jugendliche suchen andere Wege, denn die normalen sind ihnen verbaut worden…«
»Das ist doch Unsinn!« sagte ich scharf. »Wege, die zum Selbstmord führen und auch vor Mord nicht haltmachen.«
»Wie darf ich das denn verstehen?«
»Auf uns wurde ein Mordanschlag verübt.«
»Ihr Pech. Was habe ich damit zu tun?«
»Es geschah in diesem Haus!«
Seine Augen verengten sich etwas. »Tatsächlich?«
»Vor knapp einer Viertelstunde, würde ich sagen. Sie haben nichts gehört?«
»Nein.« Wieder strich er über den Körper des Schwans. »Ich habe gearbeitet und nachgedacht.«
»Sie lieben Schwäne?« fragte ich.
»Das sehen Sie doch.«
»Bei den Toten fand man Schwäne und schwarze Rosen. Auch sie müssen diese Tiere geliebt haben.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sie sind auch etwas Besonderes.« Er lächelte vor seinen nächsten Worten etwas entrückt. »Haben Sie schon einen Schwan über das Wasser gleiten sehen? Es ist einfach wunderbar, dieses Tier zu beobachten. Es schwimmt nicht, es ›fließt‹. Das ist wie das Leben. Es fließt ebenfalls, wenn Sie verstehen. Leben und Tod sind zwei Dinge, die stets in Fluß sind, aber was erzähle ich Ihnen da?«
»Lieben Sie den Tod ebenfalls?« fragte Suko.
Er zögerte mit der Antwort. »Wie kommen Sie darauf?« fragte er leise.
»Nur so.«
»Der Tod ist nicht das Ende.«
»Das wissen wir auch. Aber wären Sie bereit, ebenfalls freiwillig aus dem Leben zu scheiden?«
Der Dekan lächelte. »Wollen Sie mich in eine Schublade mit den Toten stecken?«
»Es wäre zumindest nicht so abwegig«, erklärte Suko. »Aber lassen wir das. Wir sind gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie uns eventuell weiterhelfen können?«
Er lehnte sich zurück. Das Leder seines Schreibtischstuhls knarrte dabei. »Ich verstehe Sie nicht. Wobei soll ich Ihnen weiterhelfen?«
»Bei der Aufklärung der Selbstmorde!«
»Tut mir leid. Um dieses Thema habe ich mich nie gekümmert. Da müßten Sie meine Studenten fragen.«
»Sollen wir in die Vorlesung kommen?«
»Aber ich bitte Sie.« Er schüttelte den Kopf, als hätte ich ihm etwas Unanständiges gesagt. »In die Vorlesung doch nicht. Gehen Sie dorthin, wo sich die Studenten treffen.«
»Sehr gut. Wo ist das?«
»Es gibt verschiedene Kneipen oder Treffpunkte. Wenn mich nicht alles täuscht, ist zur Zeit eine Espresso-Bar in der Altstadt ›in‹. Sie liegt in einem Keller.«
»Wie heißt sie?«
»Diavolo!«
»Ach«, sagte ich. »Diavolo? Teufel?«
»Genau.«
»Sehr sinnig.«
Er hob die Schultern. »Ich habe den Namen dieser Bar nicht ausgesucht. Mehr kann ich
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