0533 - Die Drachen-Lady
Nadine so reagierte, war Gefahr im Anzug.
Es gab wohl kaum jemand, der keine Gänsehaut bekommen hätte.
Einer fragte: »Was ist das schon wieder?«
»Es wird gefährlich«, sagte Bill.
»Was wollen Sie tun?« rief die Wirtin.
Bill ging zur Tür. »Warten Sie hier«, sagte er, zog die Tür auf, trat in den dünnen Lichtkreis, schaute zuerst nach links, dann in die andere Richtung – und wurde stumm.
Über der Straße, auch dicht über den Dächern der Häuser, segelte ein breiter Schatten.
Der Flugdrache war da!
***
Nadine und Johnny hatten recht behalten. Der Drache war nicht verschwunden, er hatte sich nur für eine gewisse Zeit versteckt gehalten, um wahrscheinlich Teil zwei seines Planes durchzuführen.
Die Menschen in Greenland hatten Angst, verständlich, auch Bill fühlte sich nicht gerade gut, als er die gewaltigen Dimensionen dieses urwelthaften Vogels so dicht über den Dächern erkannte.
Das Tier bewegte seine Schwingen.
Es sah sehr träge aus, als würden zwei gewaltige Decken auf- und niederschwappen. Der lange Hals war vorgestreckt, der Schnabel wirkte wie eine gekippte Lanzenspitze.
Auf dem Hals, er wirkte im Verhältnis zum Körper sehr dünn, hockte das Mädchen.
In der Finsternis konnte Bill nicht unterscheiden, welche Farbe die Haare aufwiesen, die Reiterin sah aus wie eine dunkle Gestalt, und sie lenkte den Drachenvogel.
Er schwebte näher…
Noch war er zu weit entfernt, als daß Bill irgendwelche Geräusche vernommen hätte, die Lautlosigkeit aber hörte auf, als er in die Nähe des Reporters gelangte.
Da vernahm Bill das Brausen, das entstand, als die Schwingen die Luft bewegten.
Plötzlich wirbelte Staub von der Fahrbahn hoch. Wolkenartig wehte er näher, und plötzlich wurde der Flugdrache schnell. Ob das Mädchen ihn in eine andere Richtung gelenkt hatte, war für den Reporter nicht mehr festzustellen, seiner Ansicht nach hatte sich der Drache das Ziel ausgesucht.
Das war er!
Mit einem gewaltigen Sprung jagte Bill zurück. Die Tür hatte er nicht geschlossen gehabt. Er tauchte in die Gaststube und knallte die Tür sofort zu.
»Er ist da!«
Seine Worte hatten die angespannte Stille zerrissen. Die Menschen schauten einander an. Sie waren starr geworden, nur die Wölfin bewegte sich im Kreis durch den Raum.
Das Tappen ihrer Pfoten auf den Holzbohlen waren die einzigen Geräusche in der Stille.
Die Conollys erkannten deutlich, wie aufgeregt das Tier war. Es traute sich aber nicht in die Nähe der Tür oder an eines der Fenster zu gehen, um sich dort hochzustemmen.
Ian ergriff das Wort. »Haben Sie erkennen können, wo sich der Drache befindet?«
»Ja. Er flog auf dieses Haus zu.«
Die Wirtin schlug ein Kreuzzeichen. Sie hatte die rechte Hand kaum gesenkt, als ein mächtiger Schlag die Eingangstür erzittern ließ. Sie gehörte noch zu den älteren Türen, bestand aus dickem Holz. Eine moderne Tür wäre längst zersplittert. Sie aber blieb in ihrer Halterung.
»Der will rein!« sagte Johnny.
Wieder hämmerte der Drache von außen dagegen, und abermals hielt die Tür dem Angriff stand.
»Wir sollten fliehen«, sagte jemand.
»Und wohin wollen Sie?« rief Bill. »Glauben Sie denn im Ernst, daß Sie draußen sicherer sind?«
Der Mann schwieg.
Bill wollte noch etwas sagen, er kam nicht mehr dazu, weil plötzlich eine Fensterscheibe zersplitterte. Alle Anwesenden fuhren herum, starrten auf das Fenster, das keines mehr war, denn ein Regen aus zerplatztem Glas ergoß sich in das Innere der Gaststube und etwas Langes, Gefährliches folgte.
Der Schnabel!
Er sah aus wie eine Lanze, gefährlich, tödlich – bereit, Menschen aufzuspießen.
Niemand sagte mehr etwas. Jeder starrte gegen das Fenster, hinter dem sich der Umriß des unheimlichen Vogels abzeichnete. Ein Stück des Halses war zu erkennen, aber auch die Gestalt, die dort ihren Platz gefunden hatte.
Das Mädchen saß ruhig auf dem mächtigen Schuppenkörper des urwelthaften Tieres. Obwohl beide nicht zusammen paßten, wirkte es nicht wie ein Fremdkörper, sondern wie ein Bild, an das man sich gewöhnen mußte. Es sprach nicht, seine Haare zerwehte der Wind, als wollte er die Kleine von verschiedenen Seiten her kämmen.
Maureen Cooper wartete ab. Es hatte den Anschein, als sollte nur der Vogel etwas unternehmen. Er hatte seinen Schnabel so weit vorgebeugt, daß die Spitze den Boden berührte. Jetzt drehte er ihn im Kreis und schabte dabei über die Bohlen hinweg. Sogar seine Augen waren zu sehen. Sie sahen aus
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