0536 - Götzendämmerung
mein Zimmer kommen!"
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ Cleran die Hand mit dem Dolch vorschnellen und schlitzte dem Dicken die Bluse über der Brust auf.
„Shavi Yanar wird euch dafür bestrafen, Herr!"
Später, auf seinem Zimmer, fragte Cleran das Mädchen, das steif wie eine Statue in seinem Bett lag: „Fürchtest du dich vor mir?"
„Nein."
„Du weißt aber, daß ich dich besitzen könnte."
„Ja."
„Hast du davor nicht Angst?"
„Es macht nichts."
Er seufzte. Er suchte nun schon seit über einem Sommer nach einem Wesen, dem er sich anvertrauen konnte und das nicht so stupid war wie die anderen. Es verlangte ihn einfach nach jemandem, der ihm geistig auch nur annähernd nahe stand, nach jemandem, der in der Lage war, vernünftig zu denken und entsprechend zu antworten.
Er hatte geglaubt, dieses Wesen in Nyryla gefunden zu haben.
Aber ihr erfreulicher Anblick hatte ihn getäuscht, sie war so verdummt wie alle anderen.
„Du weißt, daß du im Tempel Shavi Yanars geopfert werden sollst?"
„Es macht nichts."
„Möchtest du nicht fliehen?"
Das Mädchen antwortete nicht.
„Hast du denn nicht den Wunsch, am Leben zu bleiben?"
„Ja."
„Warum handelst du dann nicht in diesem Sinne? Warum versuchst du nicht, dein Leben zu retten? Wenn du willst, bin ich dir bei der Flucht behilflich."
Sie blieb stumm.
„Es kümmert dich also überhaupt nicht, welches Schicksal auf dich wartet?"
„Es macht nichts", bestätigte sie einsilbig.
Sie war bald darauf eingeschlafen. Er mußte die Decke über ihren Körper breiten, weil sie nicht einmal die Willenskraft hatte, es selbst zu tun.
Das war gestern gewesen. Heute war alles anders.
Nyryla hatte Angst. Ihr ganzes Wesen hatte sich verändert.
Cleran schien es, als wäre sie auch intelligenter geworden. Diese Vermutung bestätigte sich bald darauf, als er im Hof der Herberge dem Wirt begegnete.
„Es stinkt", sagte der Wirt. Plötzlich wurde ihm bewußt, zu wem er sprach. „Verzeihen Sie, Herr. Ich wollte Sie mit meinen Worten nicht beleidigen. Aber ich mußte es einfach sagen."
Cleran lächelte. „Sie haben recht, es stinkt. Und was werden Sie dagegen tun?"
Cleran konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, was gegen den unerträglichen Gestank getan wurde: Die Bediensteten trugen Unrat und Abfälle, die sich im Laufe einer langen Zeit angesammelt hatten, aus dem Haus und verluden alles auf einen Karren.
Der Wirt blickte unwillkürlich in die Höhe.
„Nyryla!" rief er bestürzt, als er seine Tochter in der Fensteröffnung von Clerans Zimmer erblickte.
„Keine Bange, ihr ist nichts geschehen", beruhigte Cleran den aufgebrachten Mann.
In dem feisten Gesicht des Wirtes zuckte es.
„Es wird ihr aber etwas zuleide getan. Sie soll heute in den Tempel gebracht werden."
Da wußte Cleran, daß mit allen Menschen eine Wandlung zum Besseren geschehen war.
„Nyryla könnte sich durch Flucht retten", schlug Cleran vor.
„Dann würden zwei andere Mädchen an ihrer Stelle geopfert werden", erwiderte der Wirt.
„Nicht, wenn sich alle Mädchen der Umgebung vor den Dienern Shavi Yanars verbergen."
Der Wirt schüttelte den Kopf. „Die Diener Shavi Yanars würden mein Haus niederbrennen und uns alle bedrohen. Ich müßte ihnen Rede und Antwort stehen."
„Sagt ihnen einfach, der Dämon Cleran hätte alle Mädchen mit sich genommen."
10.
Dort, wo die Herberge gestanden hatte, stieg eine Rauchsäule in den Himmel.
Einige der insgesamt acht Mädchen begannen zu weinen.
Cleran befahl ihnen, sich in die Höhle zurückzuziehen. Er selbst bezog in der Nähe des Eingangs hinter einem Felsen Stellung. Die Lanze war mit der Spitze in den Boden gebohrt, das Schwert hing griffbereit an seiner Seite - so erwartete er die Diener Shavi Yanars.
Als die Sonne schon fast im Mittag stand, sah er in der Luft einen rasch näherkommenden dunklen Punkt. Der Punkt vergrößerte sich und wurde zu einem Himmelswagen der Götzen.
Der Himmelswagen landete fast lautlos in der Nähe von Clerans Versteck. Aus seiner Deckung konnte er sehen, wie zwei von Shavi Yanars Dienern aus dem zehn Meter langen Zylinder stiegen.
Sie trugen Rüstungen, die nur teilweise aus Metall bestanden.
Cleran rechnete sich seine Chancen bei einem Zweikampf aus.
Er durfte den Yanarsaren - wie die Götzendiener genannt wurden - nicht offen gegenübertreten, denn gegen ihre feuerspeienden Waffen schützte ihn sein Schild nicht. Besser war es, ihnen einen Hinterhalt zu legen
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