0539 - Der Alptraum-Schädel
richtete sich auf, so sicher war er sich seiner Sache. »Die Geister der Toten? Sie stehen auf meiner Seite, das kann ich Ihnen versprechen. Ich habe den Schädel gefunden!« schrie er mich an. »Er gehört mir und keinem anderen.« Nach diesen Worten grinste er scharf.
»Oder wollen Sie ihn mir wegnehmen?«
»Das haben wir uns eigentlich gedacht«, erklärte Suko. Er drehte sich zum Schädel hin, und Menco schrie auf. »Rühren Sie ihn nicht an! Sie sind des…«
Selbst Suko schrak zusammen, als die Stimme aufbrandete. »Sie, Menco, werden mich daran nicht hindern. Wir werden den Schädel zerstören, um auch den alten Fluch der Totengeister von dem Haus der Grenadas zu nehmen. Verstanden?«
»Sie werden sterben!« versprach er mit Grabesstimme. »Kein Unreiner darf ihn berühren.«
»Woher wollen Sie das wissen, daß wir unrein sind?«
»Das weiß ich eben!«
Ich hatte mich lange genug mit dem Kerl auseinandergesetzt.
Vielleicht hatte er sogar recht, das war im Moment zweitrangig. Zunächst einmal wollte ich den Schädel weghaben.
Aber Manuel Menco kam uns zuvor. Wir waren wachsam gewesen, nur nicht wachsam genug.
Es gibt den Vergleich mit der berühmten Bogensehne. So ähnlich schnellte Menco vor – als ein wahrer Katapultstart. Er schrie dabei, fiel dem Schädel förmlich entgegen und umklammerte ihn mit beiden Händen. Wäre der Kopf alt und brüchig gewesen, so wäre er längst auseinandergefallen.
So aber hielt er und wurde von dem Spanier umarmt, wie ein kleines Kind sein Lieblings-Spielzeug hält.
Suko wollte hinspringen, ich ebenfalls, wieder einmal kam uns Menco zuvor.
Er drehte den Schädel nach links. Wir hörten ein Knacken, als wäre etwas gebrochen, und einen Herzschlag später geschah das Unerklärliche und Unheimliche.
***
Die Familie Grenada war allein zurückgeblieben. Das heißt, um den Schein zu wahren, hatten sie sich zu den Gästen aus Cordoba setzen müssen. Rosa Grenada hatte es tatsächlich noch geschafft, ihnen die allseits beliebte Suppe nach dem bestellten Salat zu servieren, dann aber hatte sie sich verabschiedet, um sich hinzulegen.
Jeder hatte dafür Verständnis. Sie war müde, auch geschwächt und hatte Furcht.
Sie schlich die Treppe hoch und hielt sich dabei am Geländer fest.
In ihrem Gesicht zuckte es. Der Hals schmerzte noch immer von den eisenharten Würgegriffen. Oben, wo sie in zwei Zimmern lebte, stand im Bad eine Tinktur aus Kräutern. Mit ihr würde sie sich den Hals einreiben. Die Flüssigkeit linderte den Schmerz.
Der Junge lag schon im Bett. Rosa Grenada hoffte, daß er das schreckliche Erlebnis verkraftete und die Nacht durchschlief. In den vergangenen Nächten war er sehr unruhig gewesen und oftmals erwacht.
Sie drückte die Zimmertür auf und ging zum Fenster, um frische Luft hineinzulassen. Der Raum zwischen den Wänden hatte sich tagsüber aufheizen können, jetzt stand die Luft wie Blei und ließ sich nur schwer atmen.
Obwohl die Wohnung dicht unter dem Dach lag, war sie ziemlich geräumig. Die Zimmer verteilten sich auf die Hausbreite, so daß sich auch die Fenster an der Vorder- und der Rückseite befanden.
Der Durchzug brachte etwas Kühle. Zudem kam der Wind von den Bergen. Mit Einbruch der Dunkelheit wehte er über das Tal.
Der Wohnraum lag auf der Vorderseite. Rosa trat an das Fenster und schaute in den Garten.
Zwei Girlandenketten leuchteten in verschiedenen Farben. Gäste hatten darauf bestanden, sie aufzuhängen. Zwischen ihnen wirkte das Licht der Laternen fast blaß.
Man war in Stimmung. Nicht nur die Gäste feierten, auch die Grenadas mußten mitmachen.
Pablo kümmerte sich um den Nachschub an Getränken. Carmen saß zwischen den anderen, lachte, scherzte, war wild wie eh und je, was Rosa mit Sorge beobachtete.
Die dunkelhaarige Frau war zwar rasend eifersüchtig, aber sie selbst wirkte manchmal so, wie man sich als Ehefrau nicht benehmen sollte. Gerade jetzt stand sie auf, zusammen mit einem Gast, und der Mann mit seiner Gitarre schlug die ersten Akkorde eines Flamencos an.
Die Klänge wehten über den Platz und hinein in die schmalen Gassen. Man lebte, man feierte, als wäre nichts gewesen.
Rosa konnte es nicht begreifen und trotzdem verstehen. Vielleicht war es besser, wenn sich Carmen und Pablo so richtig ausgaben, dann vergaßen sie den Schrecken.
Sie drehte sich um und löste den Knoten im Nacken. Jetzt fiel das Haar in grauen Strähnen bis auf die Schultern und noch weiter.
Müde strich die Frau über ihre Augen,
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