0540 - Der Fluch der Zigeunerin
Gerüchte wegen ging es nicht anders; eine Zwickmühle, aus der niemand mehr hinauskam.
Inzwischen waren die Stadttore längst geschlossen, niemand kam mehr hinein oder heraus. So mußte auch Cigan der Fiedler in Trier verbleiben, bis der Morgen anbrach. Aber um ihn machte sich Romano keine Sorgen. Cigan würde sich schon durchschlagen, und der Teufel schützt die Seinen. Cigan war mit Teufelsgold unterwegs, und der würde schon dafür sorgen, daß ihm nichts geschah. Schließlich hatte er den Beutel ja verschenkt, um Romanos Sippe reich zu machen.
So zumindest legte es Romano aus, der nie gewollt hatte, daß seine geächtete Enkelin diesem Teufelsgold anheimfiel; lieber opferte er sich selbst.
Denn ganz tief in ihm wirkte immer noch das Familienband, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte und durfte. Aber wenn er mit dem unerschöpflichen Gold des Fürsten der Finsternis dafür sorgte, daß es der Sippe gutging, ging es auch Elena gut - im Rahmen dessen, was ihr erlaubt wurde. Es wäre furchtbar gewesen, wäre sie besser gestellt gewesen als die anderen. Und noch furchtbarer, wenn sie es wäre, die der Familie zum Reichtum verhalf. So nahm Romano selbst die Last auf sich. Er hatte schon so viel zu tragen, da kam’s hierauf auch nicht mehr an.
Doch was würde geschehen, wenn er starb?
Würde dann die Goldquelle im Lederbeutel versiegen?
So ganz konnte er nicht daran glauben. Der Teufel hatte die Geldkatze Elena zum Geschenk machen wollen. Vermutlich würde die Quelle erst versiegen, wenn sie verschied.
Also war es fast schon eine logische Schlußfolgerung, daß er und die anderen alles tun mußten, um Elenas Leben und Unversehrtheit zu schützen, damit ihnen der Reichtum erhalten blieb…
Natürlich hatte es sich schon lange in der Sippe herumgesprochen, woher dieser Reichtum in Wirklichkeit kam. Daß der Teufel ihnen in der Nacht von Elenas Geburt und Zytas Tod einen Besuch abgestattet hatte, war jedem geläufig. Die Hufspuren waren eindeutig gewesen. Keinem war bei diesem Gedanken wohl, bis heute nicht. Aber sie alle waren damit einverstanden, daß Romano das Teufelsgold in seiner Obhut behielt, um notfalls den Zorn des Teufels auf sich allein zu ziehen und so die Sippe davor zu bewahren.
Inzwischen jedoch gab es Stimmen, die immer lauter forderten, Elena fortzujagen. Sie dachten nicht mehr daran, daß dann vielleicht der Reichtum versiegen würde. Sie konnten sich nichts anderes mehr vorstellen, als zumindest materiell ohne Sorgen zu sein.
Die anderen Sorgen, die Ächtung durch die Seßhaften, die sich um so vieles für etwas Besseres hielten als die Zigeuner, blieben so oder so.
Fast zwanzig Jahre waren eine lange Zeit. Was einst außergewöhnlich war, war jetzt normal. Die damals jung waren, waren jetzt alt, und eine neue Generation war stark geworden.
Die alte Blixbah aber wurde schwach. Jetzt machte sich ihr Alter doch bemerkbar. Weit über 80 Winter zählte sie und konnte sich nur noch schwer auf den Beinen halten. Daß sie überhaupt so lange gelebt hatte, schien ein Wunder, mußte aber ein weiteres Werk des Teufels sein, wie einige munkelten. Sie wurde allen zur Last. Ihr Gedächtnis verließ sie immer wieder, sie konnte nicht mehr wahrsagen, und ihre Kenntnisse über Heilkräuter verloschen. Sie brachte vieles durcheinander, trug nicht mehr zum Wohlergehen der Sippe bei. Sie mußte gefüttert und gesäubert werden, weil sie inzwischen zu schwach war, das selbst zu tun. Meist erledigte Elena das, ihre Ziehtochter. Aber das alte Gesetz sagte, daß nur leben durfte, wer seinen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft leistete.
Und so kam die Älteste Frau zu Romano.
Vielleicht hätte unter anderen Umständen der alte Blixbah der Titel der Ältesten Frau zugestanden. Aber sie war senil geworden, und viel zu lange hatte sie sich selbst neben die Gesellschaft gestellt, als sie sich des Kindes der Entehrten wie eine Mutter angenommen hatte. So hatte niemand sie zur Ältesten Frau wählen wollen. Auch jene, die jetzt den Titel trug, war nicht vom Alter her die Älteste. Aber sie war es, die die Geschicke der Familie am besten überdenken konnte.
»Das Problem, Romano«, sagte sie, »ist, daß wir keine andere Heilkundige haben. Aber die alten Blixbah hat ihre Kunst verloren. Sie nützt niemandem mehr, fällt nur noch zur Last.«
Romano nickte langsam. Er wußte, was Carmen, die Älteste Frau, andeutete… Und es gefiel ihin nicht.
Die alte Blixbah war fast zu einer Legende geworden, obgleich sie neben
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