0540 - Der Fluch der Zigeunerin
sich an das, was die alte Blixbah ihr einst erzählte. Sie erinnerte sich an den geheimnisvollen, mächtigen Fürsten der Finsternis. Er hatte Blixbah die Fähigkeit des Wahrsagens geschenkt und viel später wieder genommen. Er war es auch gewesen, der dem Sippenführer den Beutel mit dem Gold gegeben hatte.
Er war gut zu den manusch gewesen. Er hatte ihnen nichts Böses getan…
Im Gegensatz zu denen, die ihn den Teufel nannten und die predigten, nur Leid und Mühsal auf Erden werde die Gläubigen nach dem Tode ins Paradies führen!
Es waren die Büttel des Oberpredigers gewesen, die Elenas Sippe heimtückisch überfallen, gefoltert und ermordet hatten.
Sie begann sie zu hassen.
***
Von irgend etwas mußte sie leben.
Die Idee, ihren Körper zu verkaufen, ließ sie erschauern. Auch mußte sie dabei an ihre Eltern denken, von denen ihr Blixbah erzählt hatte. Ein einziges Mal hatte ihre Mutter einem Mann beigelegen, hatte Elena empfangen - und war bei ihrer Geburt gestorben!
Sie aber wollte nicht schon jung sterben. Sie wollte so alt werden wie Blixbah. Wenn dann jemand beschloß, daß sie diese Welt verlassen mußte, sollte es recht sein; so war es der Zigeunerbrauch. Doch bis es soweit war, wollte sie noch viele Sommer erleben. Auch wenn die Welt voller Leid war. Leid ließ sich ertragen; es war etwas, das sie kannte. Der Tod aber… ihn oder das, was den Verheißungen der Christen zufolge danach kam, kannte sie nicht. Da kannte sie nur Worte. Und Worte verweht der Wind.
Und dann war da das Schicksal ihres Vaters.
Er war gestorben. Getötet worden von ihrem Großvater, weil er ihre Mutter nicht zur Frau nehmen wollte. Er hatte sich geweigert, Elenas Vater sein zu wollen.
Kein Vater, keine Mutter. Eine alte, weise Frau als Ziehmutter - eine, die nicht mehr jung genug war, um mit Elena auch nur einmal zu spielen. Großeltern, die Elena ablehnten. Eine ganze Sippe, die Elena ablehnte, ihre Existenz zwar registrierte, aber nicht wirklich wahrnahm. Gleichaltrige Mädchen und Jungen, die nicht mit ihr spielen durften. Elena war tabu.
Das kam dabei heraus, wenn eine Frau bei einem Mann lag. Gar nicht das, was Elena sich wünschte. Sie wünschte es auch nicht den Kindern, die sie irgendwann einmal haben wollte. Sie stellte es sich wunderbar vor: Mit den Kindern zu leben, zu spielen, und selbst dabei das Kind sein zu dürfen, das sie zu ihrer Zeit nicht hatte sein können.
Aber um Kinder zu gebären, brauchte sie vorher einen Mann, der diese Kinder zeugte. Und davor hatte sie Angst.
Blixbah hatte Elena gelehrte, Kräuter zu kennen und zu benutzen. Sie hatte Elena erzählt, was man damit tun konnte, und nicht nur das. Auch, wie man Erkrankungen rechtzeitig erkennt, um die entsprechenden Kräutermischungen auch anzuwenden. Es war unglaublich viel, was Elena in sich aufgenommen hatte. Sie traute sich durchaus zu, viele Krankheiten zu heilen, ja sogar eiternde Wunden zu schließen, ohne daß der Verletzte darüber starb.
Elena war zu einer Heilerin geworden…
Nur haftete ihr der Makel der Ausgestoßenen an. Selbst wenn sie versuchte, sich einer anderen Sippe anzuschließen, war es fraglich, ob die Älteste Frau ihr Aufnahme gewährte. Erstens hatte es sich unter den Roma sicher herumgesprochen, daß sie eine Entehrte war; schließlich trafen sich die Sippen alle paar Jahre, um miteinander zu feiern und zu palavern, sofern sie nicht durch ihre Wanderschaft zu weit voneinander entfernt waren. Aber dann versuchten sie zumindest Abgesandte zu schicken.
Zum anderen: wie sollte sie sich einer anderen Sippe anschließen? Sie müßte sich adoptieren lassen, doch wer würde sich dazu bereit erklären? Sie brachte schließlich keine Werte mit. Der nimmerleere Beutel mit dem Gold - er war mit Romano spurlos verschwunden. Auch Heirat schied aus, denn grundsätzlich wechselte der Mann zur Sippe der Frau, niemals umgekehrt. Aber ihre Sippe existierte nicht mehr.
Was ihr blieb, war die Einsamkeit.
Also wurde sie eine Bettlerin.
Zunächst wenigstens. Irgendwann sprach sich herum, daß sie mit ihrem Kräuterwissen heilkundig war. Sie linderte Krankheiten oder heilte sie. Und auch Frauen, die ihren Körper verkauften und ein Kind empfingen, weil sie unvorsichtig oder unwissend waren, half sie, die Empfängnis rückgängig zu machen. Hin und wieder bekam sie dafür ein paar Kupfermünzen oder auch etwas zu essen.
Sie behandelte auch Geschwüre und den fressenden Husten. Oft genug sorgte sie sogar dafür, daß die Wunden von
Weitere Kostenlose Bücher