0540 - Der Fluch der Zigeunerin
wollte nicht sterben.
Nicht für etwas, dessen sie sich nicht schuldig fühlte.
Nicht für reine Notwehr.
Sie hatte doch nur überleben wollen, nicht so furchtbar verletzt werden wollen.
Und jetzt würde es dennoch geschehen, und man würde sie danach töten!
Es war ungerecht. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nur Leid erdulden müssen. Was hatte sie getan, um das zu erdulden?
Sicher, der Pfaffe würde, wenn man ihr den Strick um den Hals legte, ein Gebet sprechen und ihr versichern, daß, wenn sie ihre Sünden bereue, vielleicht doch noch die Tür des Paradieses sich für sie öffnete.
Aber so leicht konnte das nicht sein. Sie glaubte es nicht, selbst wenn sie sich dazu durchringen wollte, an dieses Leben nach dem Tod zu glauben.
Sie war ein einfaches Mädchen und verstand nicht viel von diesen Dingen, aber sie konnte logisch denken. Warum all die Drohungen, wenn Heue in den letzten Lebensminuten alles ändern konnte?
Nein.
Sie beschloß, den anderen Weg zu gehen. Menschen konnten ihr nicht mehr helfen. Menschen hatten sie verdammt, verflucht und zum Tode verurteilt. Sie wollte nicht sterben. Vielleicht besaß jener, der der alten Blixbah die Macht des Sehens gegeben hatte, auch die Macht, ihr zu helfen.
Oder - sie noch in dieser Nacht, ehe der Morgen graute und der Henkersknecht kam, rasch und schmerzlos zu töten.
Und so begann sie die Zauberformeln zu sprechen, die den Fürsten der Finsternis beschwören sollten…
***
Sie erfuhr nie, daß ihr Zauber niemals gereicht hätte, Asmodis zu beschwören, wenn dieser es nicht gewollt hätte. Zu viel fehlte, zu wenig hatte Blixbah sie gelehrt. Und zuviel hatte sie einfach wieder vergessen. Auch fehlten Hilfsmittel wie Zauberkreis und Sigille, es fehlte das Blutopfer…
Doch Asmodis kam!
Plötzlich stand er in dem winzigen Schlag vor ihr. Ein großer Mann, wunderschön anzuschauen und mit schwarzen Augen, in deren Mitte es rötlich leuchtete. Er war wie ein Adliger gekleidet - natürlich. Er war ja ein Fürst … Und Elena begriff nicht, wie es möglich war, daß er aufrecht und fast sieben Fuß groß vor ihr stand, wo sie selbst doch schon in sitzender Haltung mit dem Kopf gegen die Holzbohlen über ihr stieß. Dennoch, es war so.
Sie erschauerte. Sie sah seine Füße vor sich. Ein Fuß steckte in einem Stiefel, der andere war ein Huf, der mit einem Eisen beschlagen war. Da wußte sie endgültig, daß sie den Gottseibeiuns zu sich gerufen hatte.
Wenn er ihr nur half, weiterzuleben! Das Unrecht zu verhindern, das man ihr antun wollte!
»Warum hast du mich gerufen? Glaubst du nicht, ich hätte Besseres zu tun, als meine Zeit in dieser stinkenden Zelle mit einem schmutzigen Mädchen zu vergeuden, das bislang nichts getan hat, für das es die Dankbarkeit der Schwarzen Familie erbitten könnte?« Er fuhr sie ungehalten an, und trotzdem klang es so, als wisse er ganz genau, worum es ging.
»Nicht so laut!« bat sie erschrocken.
Er lachte noch viel lauter.
»Sei unbesorgt. Niemand hört uns, es sei denn, es ist mein Wille. Nun nenne mir einen wichtigen Grund. Wenn du mich nur zum Spaß hergerufen hast, wird es dir schlecht ergehen. Du glaubst, es ginge nicht mehr schlechter? Oh, das Urteil könnte aufgeschoben werden, wenn man erfährt, daß du eine Hexe bist, die den Teufel sogar noch in ihren Kerker ruft! Weißt du, wie schmerzvoll es ist, wenn sie dich foltern? Weißt du, wie das Feuer beißt, wenn sie dich auf den Scheiterhaufen binden? Der Galgen wäre dagegen eine beglückende Erlösung!«
»Warum macht Ihr mir solche Angst, mein Fürst?« fragte sie beklommen. »Ich bitte Euch, mir zu helfen.«
»Warum sollte ich das tun? Was könntest du mir bieten?«
Sie schluckte.
»Meine - Seele…?« bot sie zaghaft an. Es heiß doch immer, daß der Teufel auf Seelenfang aus sei. Hier konnte er sie bekommen, ohne sich viel Mühe zu geben. Er brauchte Elena nur zu befreien…
Er lachte dröhnend. »Deine Seele… Kindchen, du bist wirklich naiv! Was soll ich mit deiner Seele? Es gibt Seelen genug. Erst vor einer Woche hast du selbst mir eine geschickt! Erinnerst du dich? Deshalb wollen sie dir doch jetzt den Strick um den zarten Hals winden.«
Sie schluchzte auf. »Was kann ich denn nur tun?«
Er hob die Hand. »Laß mich dich anschauen«, sagte er. »Vielleicht entsprichst du ja meinen Erwartungen.« Plötzlich fiel das Sackgewand von ihr ab. Erschrocken schrie sie auf, versuchte ihre Blößen mit den Händen zu bedecken. Asmodis lachte auf.
»Ah, du bist
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