0544 - Der Bleiche
den Feldstecher schon nach wenigen Sekunden wieder sinken.
»Was ist los?« fragte ich.
»Jetzt sind sie nicht mehr da!« hauchte sie.
»Und wo können sie sein?«
»Vielleicht sind sie im Loch verschwunden«, sagte Suko ein wenig spöttisch.
»Unsinn, Inspektor. Die beiden haben den Raum auf ganz normalem Wege verlassen. Wenn mich nicht alles täuscht, sind sie in das Schlafzimmer gegangen.«
Ich mußte lachen. »Was wollen sie denn da?«
»Was macht man schon in einem Schlafzimmer?« fuhr mich die Frau an. »Sagen Sie es…«
»Ich bitte sie. Wenn es stimmt, was Sie gesagt haben, dann ist dieser Mann doch tot…«
»Na und?«
»Hören Sie auf!« Allmählich wurde ich ungeduldig. Ich glaubte einfach nicht an ihre Behauptungen.
»John«, schlug Suko vor. »Es wäre wirklich am besten, wenn wir mal rübergingen und nachschauten.«
Da zuckte die Frau zusammen. »Was wollen Sie? Rübergehen? Sich in die Höhle des Löwen begeben? Sind Sie denn wahnsinnig geworden? Das können Sie nicht machen. Das wäre Selbstmord, glauben Sie mir. Das ist einfach grauenhaft und furchtbar.«
»Haben Sie einen anderen Vorschlag?« fragte ich.
»Nein, im Moment nicht.« Sie setzte sich wieder hin. »Ich an Ihrer Stelle hätte Angst.«
»Nun gut«, sagte Suko. »Es ist unser Beruf, ungewöhnlichen Phänomenen auf die Spur zu kommen. Vielleicht können wir tatsächlich diesen Geist sprechen.«
»Machen Sie nur Ihre Witze. Das Jenseits wird es Ihnen schon zurückzahlen, glauben Sie mir.«
»Das werden wir sehen.«
Ich war ebenfalls einverstanden und nickte Suko zu. Mrs. Freeland begleitete uns bis zur Tür. »Bitte«, flüsterte sie, »seien Sie vorsichtig! Ich möchte nicht die Schuld an Ihrem Tod tragen. Das würde mir das Herz brechen, weil ich Sie doch…«
»Keine Sorge, Mrs. Freeland. Wir wissen uns schon zu wehren. Und Geister sind übrigens unsere Spezialität, wenn Sie verstehen.«
»Gehen Sie nur!«
Ich konnte die Angst der Frau verstehen. Sie war doch nicht so abgebrüht wie wir, wobei wir schließlich Tag für Tag mit diesen Wesen zu tun hatten.
Wir gingen durch das stille Treppenhaus, öffneten die Haustür und schauten in den dünnen Regen. Auf der anderen Seite grüßte uns die Front wie ein grauer, langer Schatten, nur dort unterbrochen, wo hin und wieder die Glotzaugen der Fenster gelb und viereckig leuchteten.
»Dann wollen wir mal«, sagte Suko und lächelte.
»Du glaubst nicht daran?«
Suko drehte sich um. »Du etwa, John…«
»Ich weiß nicht, Alter, ich lasse mich einfach überraschen und hoffe, daß es keine blutige Überraschung wird…«
***
Sie spürte ihn.
Sie spürte einen Toten und auch die Aura, die von ihm ausging.
Es war einfach herrlich, trotz dieser ersten, widerlichen Kälte, die auch über ihre Haut gestrichen war, einen Schauer hinterlassen hatte, der aber sehr bald verging und einem wohligen Gefühl Platz verschaffte, das sie auch weiterhin durchrieselte.
Es war einfach wunderbar, einen Mann zu spüren, der verstorben war und trotz allem noch lebte.
So liebte Kyra das Leben, auch wenn sie es mit einem Toten verbringen mußte.
Aber war er auch tot?
Darüber wollte sie kein Urteil abgeben. Er war kein normaler Mensch und auch kein Geist. Seine Existenz lag irgendwo in der Mitte zwischen beiden Phänomenen. Er besaß einen Körper, der äußerlich nur mehr mit einem Nebelstreif zu vergleichen war, aber trotzdem zu spüren war.
Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um ein von innen strahlendes Gesicht sehen zu können, und lächelte ihm zu. »Es ist schön, daß du wiedergekommen bist.«
»Ich mußte doch kommen!«
Er hatte die Antwort gegeben, und sie konzentrierte sich auf seine Stimme.
War das überhaupt eine Stimme? Im Prinzip ja und trotzdem wieder nicht. Sie hatte die Antwort verstanden, weil sie ihren Mann lange genug kannte. Andere aber hätten aus den gezischten und geflüsterten Worten kaum etwas heraushören können.
»Ja, du mußtest kommen, mein Liebling.« Sie streichelte seinen Kopf. Die Hände fuhren dabei über ihre Wangen.
»Du mußt immer kommen, wenn ich dich rufe. So ist es abgemacht…«
Diesmal gab es keine Antwort, was die Frau nicht beunruhigte, sondern nur etwas wunderte. Vielleicht gefiel ihm das Zimmer auch nicht mehr. Es taugte auch nichts. Einfach nur die widerlich kahlen Wände, bis eben auf die Truhe in der Ecke. Auch als Toter oder als aus dem Jenseits Zurückgekehrter brauchte man ein wenig Atmosphäre.
»Wir werden dorthin
Weitere Kostenlose Bücher