0549 - Des Teufels Traum
Realität wieder, auf der Erde, mitten über einer gewaltigen Wasserfläche! Die Schwerkraft riß ihn in die Tiefe, als er den Boden unter seinen Füßen verlor! Rasend schnell kam die endlose Wasserfläche näher!
Diesmal reduzierte er seine Masse auf Null, konnte derart seine Fallgeschwindigkeit zuerst verringern und dann aufheben. Aber jetzt war er kaum etwas anderes als ein Blatt im Wind, den Luftströmungen ausgeliefert, die ihn vor sich her trieben.
Er sah sich nach Shirona um, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken. Sie war ihm nicht in die Wirklichkeit gefolgt. Sie hatte ihn nur gewissermaßen hinausgeworfen und buchstäblich fallengelassen.
Mitten auf seinem Weg zum Château Montagne!
War die Wasserfläche, über der er sich befand, der nördliche Bereich des Kaspischen Meeres?
Es mußte jedenfalls ein sehr großes Gewässer sein. Aus seiner momentanen Perspektive konnte Julian kein Ufer erkennen. Da war nur die endlose Wasserfläche, die im schwachen Licht von Mond und Sternen glitzerte.
Er sah aber auch keine Schiffsbeleuchtung weit und breit.
»Warte, Shirona«, murmelte er. »Das vergesse ich dir nicht.«
Ihn störte weniger, daß er hier über einem Binnenmeer schwebte, sondern vielmehr, daß Shirona es gewagt hatte, erneut auf drastische Weise in seinen ganz persönlichen Bereich einzugreifen, daß sie ihn an seinem empfindlichsten Punkt manipuliert hatte. Seine Macht beruhte auf seinen Träumen, und wer sie steuern konnte, demütigte den mächtigen Herrn der Träume.
Das konnte er nicht hinnehmen. Er durfte es auch nicht, wenn er nicht jeden Respekt bei anderen magischen Wesen verlieren wollte. Warum sollten Dämonen noch vor ihm zittern, wenn sie zugleich auch über ihn lachen konnten? Und das nur, weil er sein Machtpotential nicht mehr allein lenken konnte, weil ihm jederzeit ein anderer dazwischenpfuschen konnte?
Shirona tat es nicht zum ersten Mal.
Doch zum ersten Mal hatte sie sich derart radikal eingemischt.
Ihm blieb jetzt keine andere Möglichkeit mehr, als zurückzuschlagen.
Er fragte sich, was sie damit bezweckte. Wollte sie ihn wirklich nur provozieren? Und was meinte sie damit, daß er sterben würde, wenn er »diesen Weg« fortsetzte, auf dem sie ihn gestoppt hatte? Wollte sie etwa gar seine Dankbarkeit erzwingen?
Und wo befand sie sich jetzt?
»Warte nur«, murmelte er. »So schnell hältst du mich nicht auf…«
Noch immer frei über dem Wasser schwebend und im Wind treibend, träumte er erneut eine Brücke zum Château Montagne und ließ sie für sich zur stabilen Welt werden, zu einer schmalen Welt, einem Korridor, den er rasch durchschreiten konnte, um sein Ziel zu erreichen.
Diesmal trat ihm Shirona nicht in den Weg.
Fühlte sie sich zu sicher? Rechnete sie mit seiner Sturheit?
Oder hatte sie jetzt Wichtigeres zu tun?
»Wir werden sehen«, murmelte Julian. »Und wenn du mir wieder über den Weg läufst, erlebst du dein blaues Wunder…«
***
»Warum hast du ihr das Amulett gegeben?« fragte Angelique. Sie zupfte nervös an ihrem Sweatshirt.
»Was hätte ich tun sollen? Sie erschießen?«
»Ich weiß es nicht«, gestand die Kreolin. »Erschießen sicher nicht. Aber… du bist sicher, daß sie die Seiten gewechselt hat?«
Maurice nickte.
»Wieviel hast du mitgehört?« fragte er.
»Alles, glaube ich. Ich war gerade aufgewacht, als du in Yves’ Zimmer gefahren bist.«
Jetzt sah er, daß ihr Haar noch wirr durcheinander war. Sie mußte sich hastig angezogen haben und war sofort im Korridor aufgetaucht.
Es hätte schiefgehen können, dachte er. Sie ist immer so leichtsinnig.
»Das Amulett warnte mich. Jemand war im Haus, in Yves’ Zimmer. Da habe ich nachgeschaut.« Und ich nenne Angelique leichtsinnig?
»Yves ist unterwegs?«
Maurice nickte. »Er sucht wieder einmal einen Job - hat er wenigstens behauptet. Danach haben wir uns ein wenig gestritten, und er ist losgestürmt. Später ist dann diese Goldhaarige hier aufgetaucht.«
»Das Amulett hat dich gewarnt«, murmelte Angelique. »Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, daß Teri jetzt auf der anderen Seite steht. Zumindest weiß ich das von Zamorra und seiner Silberscheibe. Und gerade deshalb hättest du Teri das Amulett nicht einfach so geben dürfen. Vielleicht hättest du das Amulett dazu bringen können, sie zu verjagen. Zumindest hätte es dich vor ihrem Angriff geschützt, da bin ich mir absolut sicher.«
Er nickte. »Ja, es hätte mich geschützt. Ja, ich hätte es auch dazu bringen können,
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