0551 - Im Licht der schwarzen Sonne
mich sind tausend Jahre wie ein Tag. Ich habe das Verhältnis zur Zeit längst verloren…«
Heute, in der Gegenwart, kam es Zamorra oft so vor, als habe Merlin noch zu ganz anderen Dingen keine Beziehung mehr. In all den Jahren hatte sich sein Zustand allmählich verschlechtert. Er hatte begonnen, Fehler zu machen; das Denkmal der Macht, das er einst gewesen war, verblaßte immer mehr. Von der anfänglichen Ehrfurcht ihm gegenüber war in Zamorra nicht mehr viel übriggeblieben.
Er sah den uralten Magier an. »Du hast damals etliche Andeutungen gemacht und dich vor einer Erklärung gedrückt«, sagte er. »Schön, seit damals weiß ich, wie das Amulett entstanden ist. Aber was diesen entarteten Stern angeht oder die Schrift dieses angeblich so uralten Volkes…«
»Du warst damals noch nicht reif, es zu erfahren«, sagte Merlin bedächtig. Er schien wieder etwas lebendiger geworden zu sein, nicht ganz so deprimiert und todessüchtig wie bei seiner Ankunft. Sollte Zamorras Erzählung von jenen vergangenen Tagen etwas in ihm wiedererweckt haben, das Merlin selbst schon als abgestorben angesehen hatte?
»Inzwischen sind eine Menge Jahre vergangen«, sagte Zamorra. »Man sammelt Erfahrungen, wird älter und reifer. Du hättest sicher zwischenzeitlich Gelegenheit gefunden, mich einzuweihen - uns einzuweihen.« Dabei wies er auf Nicole. »Schließlich haben wir beide eine sehr enge Beziehung zu dem Amulett entwickelt. Nicole vielleicht sogar noch enger als ich. Zum Beispiel das FLAMMENSCHWERT…«
Merlin schüttelte den Kopf. »Ich darf auch jetzt nicht sprechen. Du wirst es selbst herausfinden müssen. Aber hinter allem steckt ein Plan.«
»Dein Plan?« fragte Zamorra.
»Nein. Ich bin nur das Werkzeug eines Größeren.«
»Was war das für eine Welt, in die du Zamorra gebracht hast? War es die gleiche Welt, in der es einst auch das System der Wunderwelten mit dem Silbermond gab?« wollte Nicole wissen. »Immerhin ist durch das Einwirken der MÄCHTIGEN damals ja auch die Sonne der Wunderwelten entartet. Und…«
Merlin sah sie an.
»Du bist nahe an der Wahrheit«, sagte er. »Und doch berührst du sie nicht. Jene Dimension jenseits des Grauens, in dem dein Gefährte gestorben wäre, hätte er sie sehen können, existiert nur durch die Kraft des Willens. Der Wille formt eine Welt, wie man sie sehen und greifen kann. Und diese Welt ist um so wirklicher, je stärker die Kraft der formenden Gedanken ist. Zamorra sah, was er sehen wollte. Und ich sah, was ich sehen wollte. Aber schließlich konnte ich ihn auch sehen lassen, was ich für mich und für ihn formte. Ich konnte seine Vorstellungen überlagern, weil ich die größere Erfahrung besaß und besitze. Für Zamorra war alles, was er sah, fremd. Durch diese Welt jedoch läßt sich auch jede andere berühren. So stimmt es, was du annimmst, Nicole Duval: Der Stern, den ich vom Himmel holte, entstammt dem gleichen Raum-Zeitgefüge, in dem es auch das System der Wunderwelten gab.«
»Julians Traumwelten«, sagte Zamorra nachdenklich. »Sie sind ähnlich und gehorchen dem Willen ihres Erschaffers.«
Merlin nickte. »Ich kann eine gewisse Ähnlichkeit nicht verleugnen.«
»Liegt es daran, daß ihr miteinander verwandt seid, Julian und du? Du bist sein Onkel«, überlegte Nicole.
»Nein. Die formbare Welt wurde nicht von mir geschaffen. Und Julians Traumwelten sind jener wirklich nur ähnlich .«
»Es ist mehr als nur eine Ähnlichkeit«, warf Taran ein. »Die Strukturen sind die gleichen. Shirona hat es bewiesen, als sie mehrmals in Julians Welten eindrang und sie gegen seinen Willen manipulierte. Sie ist verbrecherisch und skrupellos. Sie lebte zu lange im Licht der schwarzen Sonne.«
»Was ist das, diese schwarze Sonne?« fragte Nicole. »Du hast sie schon einmal erwähnt, und irgendwie muß der Begriff auch durch mein Unterbewußtsein spuken! Was hat es mit dieser Sonne auf sich?«
Taran wollte etwas sagen…
Da traf ihn Merlins Blick. Und so sehr Taran auch vorhin noch gegen Merlin opponiert hatte - jetzt verstummte er.
Doch in seinen Augen flammte es zornig auf.
»Vielleicht kannst du es uns ja selbst verraten, Merlin«, forderte Zamorra den Zauberer auf.
Der machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich bin nicht hier, um Fragen zu beantworten, die nicht gestellt werden sollten.«
»Welche sind denn erlaubt?« erkundigte sich Zamorra spöttisch und ertappte sich dabei, in Tarans Tonfall verfallen zu sein. Taran grinste kurz. »Vielleicht die, weshalb du
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